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II.22. Hans Carl Artmann ( 1921—2000)

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H.C. Artmann wurde am 12. 6. 1921 in Wien-Breitensee geboren. Charakteristisch für ihn war die autodidaktische Beschäftigung mit fremden Sprachen und Literaturen. Er reiste viel und verbrachte viel Zeit im Ausland. Der Dichter gehörte zu der sogenannten «Wiener Gruppe». Als Künstler charakterisierte man ihn als exzellenten Sprachartisten. Er war ein bedeutender Lyriker, Prosaist, Dramatiker und Übersetzer.

Für Artmann und die ganze „Wienergruppe“ war Literatur eine Art Spiel: ein Puzzle mit Buchstaben, Wörtern und Satzstrukturen. Ihre literarischen Produkte sind meist kurze, scharadenähnliche Texte, die vielfach auf ihren sprach- oder naturwissenschaftlichen Kenntnissen beruhen. Artmann spielte darüber hinaus mit literarischen Traditionen, indem er sie parodierte oder travestierte. Seinen derartigen Gedichten fehlt es nicht an in allen Farben schillernder, faszinierender Bild- und Wortkombinatorik. Am bekanntesten wurde sein experimentierender Lyrikband „ein lilienweißer brief aus lincolnshire“ aus dem Jahre 1969 und sein moritatenhaftes Gedichtbuch im Wiener Dialekt „med ana schwoazzn dintn“ (1958), dem „epitafe“ (1953),, „treuherzige kirchhoflieder“ (1954), „sieben lyrische verbarien“ (1954) vorangingen. Während seines Berliner Aufenthalts schuf er 1962 seine 2Berliner Gedichte“. Die Gedichte aus „allerleirausch“ aus dem jahre 1967 sind schaurige Weisen voller Bosheit und heimtücke erinnern an die aggressiven Texte von Hans Magnus Enzensberger und Bruno Fuchs.

Auch die Prosa von Hans Carl Artmann ist nicht von schlechten Eltern. Sein erstes Prosabuch erscheint 1959. Es war dies „von denen husaren und anderen seiltänzern“, ein Text, der an die Diktion von Grimmelshausen und Arno Holz erinnert. Das nächste Buch aus dem Jahre1964 war „Das suchen nach dem gestrigen Tag auf einem heißen Brotwecken“, das von K.H. Kramberg, einem prominenten Literaturwissenschaftler, sehr hoch eingeschätzt wurde. Der Prosatext „grünverschlossene botschaft“ mit 90 Träumen aus dem Jahre 1967 verwunderte viele Leser wegen babylonisch-ägyptischer Reminiszenzen. Im selben jahr entsteht „Fleiß und und Industrie“, wo der Autor in der maske eines gutmütigen Idyllikers 30 Berufsstände porträtiert.

Einen würdigen Platz nehmen im Gesamtschaffen des Schrifststellers auch seine dramatischen Produktionen ein. Sie sind etwa zwanzig Stück an der Zahl und bleiben bis heute noch nicht gründlich erforscht.

 

Mein Vaterland Österreich

 

Österreich bestand ehedem

aus den folgenden Ländern:

dem Erzherzogtume Österreich,

dem Herzogtume Steyermark,

der gfürchteten Grafschaft Tyrol

nebst Vorarlberg,

dem Königreiche Böhmen,

der Markgrafschaft Mähren,

dem österreichischen Anteil an Schlesien,

dem Königreiche Illyrien,

dem Königreiche Galizien und Lodomerien,

dem Lombardisch-venezianischen Königreiche,

dem Königreiche Ungarn mit seinen Nebenländern

Slawonien, Kroatien und Dalmatien

und dem Großfürstentume Siebenbürgen.

Heute besteht Österreich

aus den Ländlein:

Wien,

Niederösterreich

Oberösterreich,

Salzburg,

Tirol,

Fahrradlberg,

Kärnten,

Steiermark

und dem Burgenland.

 

Tu, felix Austria, juble und jodle!

 

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

 

I.

1. Was wissen Sie über die «Wiener Gruppe»?

2. Welche Rolle spielte H. C. Artmann in der Tätigkeit der «Gruppe»?

3. Nehmen Sie Stellung zu dem Begriff «Avantgarde».

4. Interpretieren Sie den Text „Mein Vaterland Österreich“.

5. Bestimmen Sie die Themen und Motive des vorliegenden Textes.

6. Wie ist das Gedicht strukturiert?

7. Was kann man vom Pathos dieses Textes sagen?

II.

1. Worin bestehen ihrer Meinung nach sprachstilistische Besonderheiten des Gedichts?

2. Was können Sie zum Problem der Wortwahl im Gedicht sagen?

3..Wie experimentierte Artmann mit der Sprache? Was wissen Sie darüber?

 

 

Deuten Sie folgende Worte:

 

Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit.

Karl Farkas

 

II.23. Friederike Mayröcker (1924)

Mayröcker wurde 20.12.1924 in Wien geboren, wo sie noch heute wohnt. Sie ist eine bekannte österreichische Lyrikerin, Prosaistin, Hörspielautorin und Essayistin. Sie ist Autorin von mehr als 20 Büchern, es sind dies meist Gedichte, Romane und Kurzgeschichten. Darüber hinaus schrieb sie einige Theaterstücke und ein Filmdrehbuch. Man nennt manchmal ihre Lyrik „philologisch“, während ihre Prosa der „Autofiktion“ zugerechnet wird. Von Beruf war sie seit 1946 Englischlehrerin in Wien. Sie experimentiert viel mit der Sprache und erinnert in mancher Hinsicht an Ernst Jandl, einen berühmten österreichischen Lyriker, mit dem sie bis zu seinem Tod 2000 zusammenlebte. Ihre Poesie ist allerdings verhaltener und traditionsbewusster.

1963 erhielt Mayröcker den Förderungspreis der Theodor-Körner-Stiftung. Zeit ihres Lebens wurde sie allerdings häufig ausgezeichnet.1967 beteiligte sie sich an der Arbeit des Berliner Literarischen Colloqiums

Walter Höllerers „Ein Gedicht und sein Autor“. Als Dichterin stand sie unter dem Einfluss des Surrealismus, obgleich ihr Gesamtschaffen als „Konkrete Poesie“ angesehen wurde. Der berühmte österreichische Philosoph Wittgenstein, der die Welt als Sprache konzipierte, beeinflusste sie ebenfalls. Unverkennbar war auch der Einfluss der „Wiener Gruppe“ und des Kreises um Max Bense, eines bekannten österreichischen Philosophen und Publizisten.

1966 kam ihr Lyrikband „Tod durch Musen“ heraus. Der „konkrete Poet“ Eugen Gomringer schrieb ein Nachwort für dieses Buch. Er verglich darin die Texte der Lyrikerin mit gemalten Fensterscheiben. Die Gedichte dieser Lyriksammlung sind thematisch und künstlerisch-formell verschiedenartig. Da gibt es traditionsgebundene Erlebnis-Texte sowie sogenannte Reiz-Texte aus spielerischen Variationen und Montage-Gedichte, deren Wortmaterial tradierte Morphologie und Syntax immer wieder verletzt. Über ihre Schreibweise äußert sich die Schriftstellerin wie folgt: “Ich lebe in Bildern. Ich sehe alles in Bildern, meine ganze Vergangenheit, Erinnerungen sind Bilder. Ich mache die Bilder zu Sprache, indem ich ganz hineinsteige in das Bild. Ich steige so lange hinein, bis es Sprache wird“. Was Literaturkritiker betrifft, so nennen sie ihre Ausdrucksweise manchmal „pneumatische Fetzensprache“. Die Autorin hauche alles in einer melancholischen Hast hin, schreibt Jörg Drews in der „Süddeutschen Zeitung“, im Ton einer entzückenden Leier, klagend und zugleich glücklich im Schreiben und nur noch im Schreiben. Andere Kritiker schätzen sie ähnlich ein: „Ihre Texte entziehen sich dem rationalen Zugriff, sind ein poetisches, oft melancholisches Gespinst, sind Träume, die uns bezaubern – und befreien“.

Die Prosa-Texte „Minimonsters Traumlexikon“ aus dem Jahre 1968 verwandeln die Sprache in bildliche Ausdrücke. Die Textwelt demonstrierte den unendlichen Zusammenhang aller Wörter. So beurteilte Max Bense dieses Buch.

An eine Mohnblume

Mitten in der Stadt

 

aus meinen Köpfen sprießt

das Feuerwerk der Tränen, der

Flieder rostet, der Liguster

weht, die Camouflage des

Sommers lässt Gewitter ahnen –

Wolfmilch besamt die Flur, die

Stare fallen, Mücken

flirren im Dorngebüsch, das

abgewelkte Blühen einer

Wolke von erbsengrüner Kirschenfrucht

gekrönt –

samt aufgeprägten kaiserlichen

Doppeladlern – Portraits auf roten Ziegeln – bröckelt

die Friedhofsmauer ab

gestützt nur noch von immergrünen

Efeuranken –

im Aufwind flügelschlagend

steht

raubvogelgleich mein Herz nach Beute äugend

(Aus: Winterglück. Gedichte 1981 - 1985)

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Charakterisieren Sie Leben und Werk der Dichterin.

2. Zu welcher literarischen richtung gehört sie?

3. Wie verhielt sich F. Mayröcker zu der lyrischen Tradition?

4. Welche Gedichtbände von ihr kennen Sie?

5. Bestimmen Sie Themen und Motive in dem vorliegenden Text.

6. Welchen Eindruck macht auf Sie das Naturbild im Gedicht?

7. Ist die Erwähnung der kaiserlichen Doppelbilder Ausdruck nostalgischer Einstellung der Dichterin?

8. Warum greift die Autorin in ihrem Text zum vers libre und nicht zu Reimen?

9. Charakterisieren Sie die Struktur des Gedichts.

II.

1. Bevorzugt die Dichterin bestimmte Gestaltungsmittel in ihrem Werk?

2. Was macht die Lyrik der Autorin so individuell und unverwechselbar?

3. Was sagen Sie über die Aussagekraft dieses Textes?

4. Nehmen Sie Stellung zu der Wortwahl dieses Gedichts.

5. Was kann man vom Satzbau in diesem Gedicht sagen?

6. Worauf basiert die Bildkraft dieses Textes?

 

Umständliches in diesen Tageserwartungen

 

Stiefmütterchens Blütenblatt tief schwarz auf dem Teppichboden

wie Falterflügel? wie ich erschrak! eher schon RUSZ BLUME (Samt)

eher schon PLUNDER am ehesten eben – nicht wirklich/ was dann?

ausgeschwitztes gestocktes Blut, geschwärztes Blut: Staub

oder Asche, im Unterstock Wohnstock Bienenstock Opferstock?

und ich sehe: draußen der Regen der sich entfaltende Tag,

gestern jedoch als du kamst war ich geblendet von SONNE

dein Rücken verdunkelte einen Moment das Leuchten (nämlich

Bildausschnitt LIEBE: abgedeckt) wie du saßest vor mir –

Als du fortgingst sagte dein gebrauchter flüchtiger Kuss:

WARNUNG! und: BAGATELLE!

Fremdsprachig.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

 

I.

1. Lesen Sie den Text und formulieren Sie dessen Idee.

2. Bringen Sie die Idee mit dem Titel in Verbindung.

3. Ist dieser Text lyrisch? Kann man ihn als ein Gedicht einstufen?

4. Merkmale welcher literarischen Stilrichtung lassen sich in diesem Gedicht feststellen?

5. Was will die Autorin mit der Großschreibung mancher Substantive erzielen?

6.. Analysieren Sie die Form des Werkes.

II.

1. Welchen Eindruck macht auf Sie das Gedicht aus stilistischer Sicht?

2. Was bewirkt die Vers- und Satzlänge im Gedicht?

3. Welche Stilmittel setzt die Autorin in ihrem Text ein? Und was bezweckt sie damit?

 

für Elisabeth von Samsonow

curved fingers … Frankfurt und Lorbeer in

Wasserschüssel, auf meiner Geröllhalden Stimmung

den deck-chair entfaltet, in den englischen Städten, in

den Hotels immer nachts die Sirenen der Feuerwehr heulen hören

vom hohen Fenster Auslug nach Feuerschein, Rauch - Toben

und Unmut und Angst, und hilflos, und unten in den avenues

das GEWIMMEL, Vollmond mit Hof weinen und Gaslaterne, alles

nur in der Vorstellung englisch, allein der BURBURY echt

welchen ich überstreife (Kragen hochgeklappt, Hände

in Taschen vergraben), es scheint und bemoost die Wirkware

in den Arkadenfenstern der exquisitesten Läden der Stadt

Frivolitätsspitze … im Garten-Kehrricht

Die ausgebliebenen Küsse – schau da schießt dieser

KINDSKOPF mit dem KINDERSPIEL, oder der sogenannte EROS

Dem Getroffenen die Bewusstseinsspanne hinein, usw.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

 

I.

1. Erklären Sie die Bedeutung des Begriffs „Gelegnheitsgedicht“.

2. Interpretieren Sie das Gedicht, wenn es möglich ist.

3. Hat dieser Text experimentellen Charakter?

4. Zu welcher literarischen Richtung kann man dieses Gedicht zählen?

II.

1. Analysieren Sie die Form des Werkes, die Wortwahl, den Satzbau und die Stilmittel darin.

 

 



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