II.9. Arthur Schnitzler (1862—1931) 


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II.9. Arthur Schnitzler (1862—1931)



Wurde in Wien am fünfzehnten Mai 1862 geboren. Bereits als Neunjähriger versuchte er seine ersten Dramen zu schreiben. Nach dem Abitur studierte A. Schnitzler Medizin. 1885 wurde er Aspirant und Sekundararzt, von 1888 bis 1893 arbeitete er als Assistent seines Vaters an der Allgemeinen Poliklinik in Wien. Nach Vaters Tod eröffnete er seine Privatpraxis. Seine ersten Veröffentlichungen erschienen ab 1886. A- Schnitzler pflegte sein Leben lang Freundschaften mit H. von Hofmannsthal, F. Salten und H. Bahr. Seine Stoffe entnahm der Schriftsteller der Stadt Wien der Jahrhundertwende. Er starb in Wien am 21. Oktober 1931.

Schnitzler war kein epochemachender Schriftsteller und er war sich dessen bewusst. Und als solcher konzentrierte er sich auf Stoffe und Themen, die er gestalten konnte.In seinem Erzählen über die Menschen und Situationen in der donaumonarchie überwog das Skeptische und Elegische, denn er konnte in seiner Zeit nichtsFestes und Leitbildhaftes finden

Seine schrifstellerischen Anfänge fallen in das Ende der achtziger Jahre. In seiner unvollendeten autobjographie „Jugend in Wien“ erzählt er über seine behütete Kindheit mit Erzieherinnen und Hauslehrern, über die Jahre auf dem Gymnasium, über das Medizinstudium, überdie Jahre als Assistenz- und Militärarzt, über Liebschaften und Zerstreuungen in Cafehäusern und auf den Pferderennbahnen, über das Leben ohne bedeutende anregung, ohne großes Ziel und ohne Ideale. Solches Leben sollte ihm aber einmal zum Problem werden und zum Angelpunkt seiner analytischen Kunst. Seine Skepsis gegen die damalige österreichische Wirklichkeit ließ ihn selten und ungern mit Bekenntnissen, Kritiken oder Essays hervortreten. Im ersten Weltkrieg schrieb er keine einzige hurrapatriotische Zeile. Er war Gegner falscher gesellschaftlicher Normen und religiöser Doktrinen, ließ sich durch die Ideen des Empiriokritizismus beeindrucken und stützte sich vor allem auf seine Lebenserfahrung, die zur Voraussetzung für sein künstlerisches Schaffen wurde. Er zeigte großes Interesse für die Beziehung der Geschlechter, für die gesellschaftliche Stellung der Frau. Auch gesellschaftliche Vorurteile interessierten ihn, gleichwie der Wechsel der Zeiten. Große Probleme der Epoche oder der Menschheit wollte er nicht gestalten. Er hinterließ zwei Romane von bester Qualität und viele Erzählungen von mittlerer Länge.

Als Schriftsteller hielt sich Schnitzler an humanistische Traditionen. Menschenkenntnis war ihm Brückenschlag zwischen den Individuen. Iin seinen frühen Erzählungen „Der Fürst ist im Hause“ (1888) und „Mein Freund Ypsilon. Aus den Papieren eines Arztes“(1889) bezieht der Autor sozialkritische oder kunstkritische Positionen, denen er im Grunde sein Leben lang treu blieb.

In anderen Texten konzentrierte sich der Schriftsteller auf den Alltag und die Intimsphäre in Form von Liebesgeschichten, in denen er sich gegen gesellschaftliche Konventionen und Vorurteile wandte. Es waren dies die Erzählungen: „Blumen“ (1894), „Der Empfindsame“ (1895) und „Die Frau des Weise“ (1896). In der Erzählung „Die Toten schweigen“ werden die Liebesepisoden zum Prüfstein für die Menschlichkeit der handelnden Personen. Sehr beeindruckend wirkt die große Erzählung „Frau Berta Garlan“ (1900—1901). Die Titelheldin ist eine früh verwitwete Heldin, die arbeitet und darin ihre Lebenskraft schöpft. Sie verliebt sich in ihren Jugendfreund, der aber ihren Liebestraum zerstört. In dieser Erzählung werden auch erotische Fragen behandelt, zum Beispiel sexuelle Wünsche der Frau, mit erstaunlicher Offenheit, ohne jegliche Heuchelei. Diese Episoden wirken antinaturalistisch und antidekadent zugleich.

Auch das Thema der Arbeit als Kriterium für die Bewertung des Menschen wurde vom Schriftsteller nicht selten durchaus erfolgreich aufgegriffen. Dieses Thema ließ die Charakteranalyse allseitig und evident werden. Er unterschied ganz klar zwischen tätigen und untätigen Menschen. Aristokratische und bürgerliche Schmarotzer aus Wien werden in manchen Erzählungen positiv gezeichneten berufstätigen Menschen entgegengesetzt. Die ersteren streben aus Langeweile nach Lebensgenuss, begehen allerlei Unmenschlichkeiten, während die zweiteren Charakterstärke und bewundernswerte Lebenskraft an den Tag legen. So ist die Schauspielerin aus „Ein Ehrentag“ (1897), so sind auch die Kellner und Fuhrleute in „Der blinde Geronimo und sein Bruder“(1900).

Auch die Analyse des Persönlichkeitszerfalls, ein Hauptthema moderner bürgerlicher Literatur, nimmt in den Texten Arthur Schnitzlers großen Raum ein. Ein treffliches Beispiel dafür ist „Leutnant Gustl“ (1900). Als Darbietungsform spielt in diesem Werk des Schriftstellers der innere Monolog, der auf die satirisch zugespitzte und vielschichtige Entlarvung der entleerten Persönlichkeit zielt. Ähnlich, aber noch schärfer und aggressiver wirkt die Erzählung „Ein Erfolg“ (1900), in der ein machtbesessener Untertan angeprangert wird.

1907 erscheint im Druck der Roman „Der Weg ins Freie“, in dem der Autor versucht, eine Bilanz der Epoche zu ziehen. Er lässt darin die österreichische Vorkriegsgesellschaft in großer Breite Revue passieren. Als Figuren des Romans treten hier Literaten, liberale Politiker, ein jüdischer Bourgeois und sogar eine sozialdemokratische Agitatorin auf. Das Problem des Antisemitismus, der im Vorkriegsösterreich ziemlich spürbare Ausbreitung fand, wird hier ebenfalls angeschnitten. Trotzdem zeigt der Roman die Grenzen der Möglichkeiten des Autors. Worin der „Weg ins Freie“ besteht, bleibt ziemlich unklar, denn die handelnden Personen des Romans erweisen sich im Grunde als „Dilettanten des Lebens“.

Die Werke des letzten Lebensjahrzehnts des Schriftstellers bringen in thematischer Hinsicht im Grunde nichts Neues. „ Fräulein Else“ (1923) zeichnet sich durch die Perfektionierung des inneren Monologs aus, aber die Konfliktanlage des Textes bleibt vielfach antiquiert-sentimental. Auch der späte Roman „Therese“, in dem der rasche Verfall einer altösterreichischen Offiziersfamilie geschildert wird, hat seine weltanschaulich –künstlerischen Grenzen.

 

Geschichte eines Genies

 

„So wär’ ich denn auf die Welt gekommen“, sagte der Schmetterling, schwebte über einen braunen Zweig hin und her und betrachtete die Gegend. Milde Märzsonne war über dem Park, drüben auf den Hängen lag noch einiger Schnee, und feucht glänzend zog die Landstrasse zu Tal. Zwischen zwei Gitterstäben flog er ins Freie. „Dieses also ist das Universum“, dachte der Schmetterling, fand es im Ganzen bemerkenswert und machte sich auf die Reise. Es fror ihn ein wenig, aber da er so rasch als möglich weiterflog und die Sonne immer höher stieg, wurde ihm allmählich wärmer.

Anfangs begegnete er keinem lebendigen Wesen. Später kamen ihm zwei kleine Mädchen entgegen, die sehr erstaunt waren, als sie ihn gewahrten, und in die Hände klatschten.

„Ei“, dachte der Schmetterling, “ich werde mit Beifall begrüßt, offenbar seh’ ich nicht übel aus.“ Dann begegnete er Reitern, Maurergesellen, Rauchfangkehrern, einer Schafherde, Schuljungen, Bummlern, Hunden, Kindermädchen, Offizieren, jungen Damen; und über ihm in der Luft kreisten Vögel aller Art.

„Dass es nicht viel meinesgleichen gibt“, dachte der Schmetterling, „das hab’ ich vermutet, aber dass ich der einzige meiner Art bin, das das übertrifft immerhin meine Erwartungen.“

Er segelte weiter, wurde etwas müde, bekam Appetit und ließ sich zum Erdboden nieder; aber nirgends fand er Nahrung.

„Wie wahr ist es doch“, dachte er, „dass es das Los des Genies ist, Kälte und Entbehrungen zu leiden. Aber nur Geduld, ich werde mich durchringen.“

Indes stieg die Sonne immer höher, dem Schmetterling wurde wärmer, und mit neuen Kräften flog er weiter. Nun erhob sich die Stadt vor ihm, er schwebte durchs Tor, über Plätze und Straßen, wo sich viele Menschen ergingen; und alle, die ihn bemerkten, waren erstaunt, lächelten einander vergnügt zu und sagten: „Nun will es doch Frühling werden.“ Der Schmetterling setzte sich auf den Hut eines jungen Mädchens, wo eine Rose aus Samt ihn anlockte, aber die seidenen Staubfäden schmeckten ihm durchaus nicht. „Daran sollen es sich andere genügen lassen“, dachte er, „ich für meinen Teil will weiter hungern, bis ich einen Bissen finde, der meines Gaumens würdig ist.“

Zimmer, wo Vater, Mutter und drei Kinder bei Tische saßen.

Die Kinder sprangen auf, als der Schmetterling über den Suppentopf geflattert kam, der große Junge haschte nach ihm und hatte ihn gleich bei den Flügeln.

„Also auch das muss ich an mir erfahren“, dachte der Schmetterling nicht ohne Bitterkeit und Stolz, „dass ein Genie Verfolgungen preisgegeben ist.“ Diese Tatsache war ihm ebenso bekannt wie alle übrigen, denn da er ein Genie war, hatte er die Welt antizipiert(предвосхитил).

Da der Vater dem Jungen einen Schlag auf die Hand gab, ließ er den Schmetterling los, und dieser flog eiligst wieder ins Freie, nicht ohne den Vorsatz, seinen Retter bei nächster Gelegenheit fürstlich zu belohnen.

Durch das Stadttor flatterte er wieder auf die Landstrasse hinaus. „Nun wäre es wohl genug für heute“, dachte er. „Meine Jugend war so reich an Erlebnissen, dass ich daran denken muss, meine Memoiren zu diktieren.“

Ganz in der Ferne winkten die Bäume des heimatlichen Gartens. Immer heftiger wurde die Sehnsucht des Schmetterlings nach einem warmen Plätzchen und nach Blütenstaub. Da gewahrte er mit einemmal irgend etwas, das ihm entgegengeflattert kam und im übrigen genauso aussah wie er selbst. Einen Augenblick lang stutzte er, gleich aber besann er sich und sagte: „Über diese höchst sonderbare Begegnung hätte sich ein anderer wahrscheinlich gar keine Gedanken gemacht. Für mich aber ist sie der Anlass zu der Entdeckung, dass man in gewissen durch Hunger und Kälte erzeugten Erregungszuständen sein eigenes Spiegelbild in der Luft zu gewahren vermag.“

Ein Junge kam gelaufen und fing den neuen Schmetterling mit der Hand. Da lächelte der erste und dachte: „Wie dumm die Menschen sind. Nun denkt er, er hat mich, und er hat nur mein Spiegelbild gefangen.“

Es flimmerte ihm vor den Augen und er wurde immer matter. Und als er gar nicht mehr weiter konnte, legte er sich an den Rand des Wegs, um zu schlummern. Die Kühle, der Abend kam, der Schmetterling schlief ein. Die Nacht zog über ihn hin, der Frost hüllte ihn ein. Beim ersten Sonnenstrahl wachte er noch einmal auf. Und da sah er vom heimatlichen Garten her Wesen herbeigaukeln, eines... zwei... drei... immer mehr, die alle so aussahen wie er und über ihn hinwegflogen, als bemerkten sie ihn nicht. Müde sah der Schmetterling zu ihnen auf und versank in tiefes Sinnen. „Ich bin groß genug“, dachte er endlich, „meinen Irrtum einzusehen. Gut denn, es gibt im Universum Wesen, die mir ähnlich sind, wenigstens äußerlich.“

Auf der Wiese blühten die Blumen, die Falter ruhten auf den Kelchen aus, nahmen herrliche Mahlzeiten ein und flatterten weiter.

Der alte Schmetterling blieb auf dem Boden liegen. Er fühlte eine gewisse Verbitterung in sich aufsteigen. „Ihr habt es leicht“, dachte er. „Nun ist es freilich keine Kunst, zur Stadt zu fliegen, da ich euch den Weg gesucht habe und mein Duft euch auf der Straße voranzieht. Aber das tut nichts. Bleib’ ich nicht der einzige, so war ich doch der erste. Und morgen werdet ihr am Rande des Weges liegen, gleich mir.“

Da kam ein Wind über ihn geweht, und seine armen Flügel bewegten sich noch einmal sanft hin und her. „Oh, ich beginne mich zu erholen“, dachte er erfreut. „Nun wartet nur, morgen flattere ich so über euch hin, wie ihr heut über mich geflogen seid.“ Da sah er etwas Riesiges, Dunkles immer näher an sich herankommen. „Was ist das?“ dachte er erschrocken. „Oh, ich ahne es. So erfüllt sich mein Los. Ein ungeheures Schicksal naht sich, um mich zu zermalmen.“ Und während das Rad eines Bierwagens über ihn hinwegging, dachte er mit einer letzten Regung seiner verscheidenden Seele: „Wo werden sie wohl mein Denkmal hinsetzen?“

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Erklären Sie den Begriff „das Genie“.

2. Welche Stilrichtung vertritt der vorliegende Text?

3. Interpretieren Sie den Titel der Kurzgeschichte.

4. Bestimmen Sie das Pathos des Erzählten.

5. Finden Sie die Pointe im Text.

6. Formulieren Sie die Hauptidee und verbinden Sie sie mit dem Titel.

7. Nehmen Sie Stellung zu der Gestalt des Erzählers.

8. Wie sind im Text die Raum- und Zeitverhältnisse gestaltet?

10. Was können sie von den Darstellungsarten und Arten der Rededarstellung im Text sagen?

11. Äußern Sie sich zu der Figurensprache im Text.

12. Erklären Sie die Besonderheiten der rhythmischen Organisation des Textes.

II.

1. Charakterisieren Sie die Mittel der Bildhaftigkeit und Bildlichkeit in der Kurzgeschichte und bestimmen sie deren Funktionen.

2. Bestimmen Sie die Satzlänge im Text.

3. Was können sie von der Wortwahl im vorliegenden Text sagen?

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Nehmen Sie Stellung zu den Worten von Franz Werfel:

„Zwei hohe Eigenschaften panzerten Schnitzlers weiche und gütige Natur gegen das Land: seine Unbestechlichkeit und seine Einsamkeit. Unbestechlich war er so sehr, dass er nicht einmal durch sich selbst bestochen werden konnte. Der Kriegsschauplatz seines Lebens lag nicht in der Außenwelt, sondern in seinem Gewissen. Welch ein Vorbild in unseren grausamen und wehleidigen Tagen, da jeder seine persönliche Schuld am liebsten auf die sozialen oder wirtschaftlichen Umstände abwälzen möchte.“

II.10. Robert Musil (1880—1942)

Wurde in Klagenfurt in Österreich geboren. Er studierte an der Technischen Militärakademie in Wien, brach aber seine Offiziersausbildung ab. Weiter studierte er Maschinenbau, Philosophie. Später promovierte er zum Doktor der Philosophie. Seine Dissertation war der Philosophie des Empiriokritikers Ernst Mach gewidmet. Einige Zeit war er Bibliothekar in Wien. Er wirkte auch als Redakteur der „Neuen Rundschau“. Im ersten Weltkrieg wurde er zum Militärdienst einberufen. Er was auch ein Herausgeber der „Soldatenzeitung“. Nach dem Krieg hatte er einen Beamtenposten. Später wurde R. Musil ein freier Schriftsteller, Theaterkritiker und Essayist in Wien und Berlin. Seit 1938 lebte der Schriftsteller im Exil in der Schweiz. Dort verbrachte er seine letzten Lebensjahre und verstarb 1942 in Genf. R. Musil war ein Autor von genialer Vielseitigkeit. Sein Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törless“ (1906) brachte ihm den Ruhm. In diesem Werk setzte der junge Autor die Traditionen des psychologischen Romans fort und knüpfte an die naturalistische Detailfreudigkeit an. Die Handlung des Romans spielt in einem österreichischen Internat. Sehr anschaulich und überzeugend zeigt Musil psychopathologische Symptome im Verhalten der Zöglinge der Anstalt, den Sadismus einiger von ihnen. Von seinem Lebenswerk „Der Mann ohne Eigenschaften“ erschienen 1931 und 1933 die beiden ersten Bände. Der Schlussband wurde nicht mehr vollendet. Seine sprachliche Kunst wurde als ein Ineinander von Mathematik und Mystik charakterisiert. Sie verbindet in dem Stil persönlicher Prägung viel Gegensätzliches. Man spricht von Sachlichkeit und abstrahierender Prägnanz.

Der Roman reflektiert die Krise der europäischen Vorkriegsgesellschaft mit anschaulichster Offenheit. Erstaunlich ist dessen Stoff- und Gedankenmasse, die die geistige Verfassung der Epoche beeindruckend veranschaulicht. Man sucht den Ausweg aus der Krise im Krieg. Ein General sieht im Militär einen Ordnungsfaktor. Der Großindustrielle Arnheim sieht im Kapitalismus die größte und humanste Ordnung und predigt einen geistigen „Imperialismus“, der den Geist und die Kunst in den Dienst an Geschäft und Politik stellt. Im Mittelpunkt des Romans steht Ulrich, der „Mann ohne Eigenschaften“,der Sekretär eines Ausschusses, wo man das Programm eines der Jahrestage der Monarchie erörtert. Er versucht, die Möglichkeiten eines „richtigen Lebens“, die „besten Arten, Mensch zu sein, zu erkunden“. Dieser skeptische Intellektuelle hat ein ausgesprochen kritisches Bewusstsein und zweifelt ständig an allem und vor allem an der Wirkungskraft seiner eigenen Gedanken. Er tut es aber kontemplativ und somit „utopisch“. Seine Lebenshaltung hat analytisch-theoretisierenden Charakter und hat keine praktische Wirkungskraft.

Die Anlage des Romans ist vielfach essayistisch-reflektirend und daher sehr gedankenschwer. Ob das ein Vorzug oder Nachteil des Romans ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Jedenfalls ist es eine der bemerkenswerten Besonderheiten dieses großartigen Werkes.

 

Mädchen und Helden

 

Wie schön seid ihr, Dienstmädchen mit den Bauernbeinen und den ruhigen Augen, von denen man nicht weiß, wundern sie sich über alles oder über nichts?!

Ihr führt den Hund der Herrschaft an der Leine wie die Kuh am Strick. Denkt ihr daran, dass jetzt im Dorf die Glocken läuten, oder denkt ihr daran, dass jetzt das Kino beginnt? Sicher ist es nur, ihr fühlt auf eine geheimnisvolle Weise, dass mehr Männer zwischen zwei Ecken der Stadt leben als auf dem ganzen Land, und ihr geht in jedem Augenblick durch diese Männlichkeit, wenn sie euch auch nicht gehört, wie durch ein Kornfeld, das an die Röcke streift.

Aber denkt ihr daran, während eure Augen tun, als wüssten sie nichts, dass es ein Mann ist, den ihr an der Leine führt? Oder bemerkt ihr in keiner Weise, dass Lux ein Mann ist, dass Wolf und Amri Männer sind? Tausend Pfeile durchbohren ihr Herz bei jedem Baum oder Lichtmast. Männer ihres Geschlechts haben als ihr Zeichen den messerscharfen Geruch des Ammoniaks hinterlassen, als hätte man Schwerter in einen Baum gestoßen; Kämpfe und Brüderschaften, Heldentum und Neigung, die ganze heroische Welt des Mannes entfaltet sich vor ihrer schnuppernden Vorstellungskraft! Wie heben sie das Bein mit der freien Gebärde eines kriegerischen Grußes oder dem heldischen Schwung eines mit dem Bierglas grüßenden Arms beim Kommers! Mit welchem Ernst verrichten sie ihren Dienst, der ein Trank- und Weiheopfer ist wie nur irgend eines! Und ihr, Mädchen? Verständnislos zieht ihr sie hinter euch drein. Zerrt an der Leine; gönnt ihnen nicht Zeit, ohne euch auch nur umzusehen nach ihnen; achtet ihrer nicht. Es ist ein Anblick, um Steine gegen euch zu erheben.

Brüder! Auf drei Beinen hüpft hinter diesen Mädchen Lux oder Wolf; zu stolz, zu sehr im Stolzesten verletzt, um nach Hilfe zu heulen; hartnäckig, in verzweifeltem Abschied nicht sinken zu lassen, während ihn die Leine immer weiter reißt. Welche inneren Hundeerkrankungen mögen aus solchen Augenblicken entstehen, welche verzweifelten neurasthenischen Komplexe liegen in ihnen beschlossen! Und die Hauptsache: fühlt ihr seinen traurig kollegialen Blick, den er euch zusendet, wenn ihr an solcher Szene vorbeikommt? Er liebt ja auch in seiner Weise die Seele dieser verständnislosen Mädchen. Sie sind nicht herzlos; ihr Herz möchte sich erbarmen, wenn sie wüssten, was vor sich geht. Aber sie wissen es eben nicht. Und sind sie nicht gerade darum so bezaubernd, diese Trägherzigen, weil sie gar nichts von uns wissen? So spricht der Hund. Sie werden niemals unsere Welt verstehn!

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Was exponiert der Titel dieser Kurzgeschichte? Welche Erwartungen erweckt er?

2. Werden diese Erwartungen realisiert?

3. Wie nennt man in der Literaturwissenschaft die Erscheinung, wo Erwartungen nicht realisiert werden?

4. Was erklärt hier die Ironie?

5. Bestimmen Sie die Besonderheiten des Genres.

6. Welche Darstellungsarten setzt der Verfasser im Text ein?

7. Charakterisieren Sie die Aufbauform des Textes.

II.

1.Sprechen Sie zu den Besonderheiten der Syntax im Text.

2. Welcherart Wortwahl überwiegt im vorliegenden Text?

3. Welche Funktion erfüllen hier Tropen?

 

II.11. Hermann Broch (1886—1951)

 

H. Broch wurde am 1.11. 1886 in Wien geboren. Er war Textilindustrieller. Später studierte er Philosophie und Mathematik und besaß eine breitgefächerte Bildung. Und obgleich er freier Schriftsteller war, beschäftigte er sich ganz aktiv mit wissenschaftlichen Studien und vor allem auf dem Gebiet der kollektiven Psychologie. In seinen letzten Lebensjahren schuf er eine Reihe ästhetischer, gnoseologischer und kulturhistorischer Essays. Zum Beispiel solche wie: „Dichten und Erkennen“ (1955) und „Erkennen und Handeln“ (1955) Beide Werke erschienen, wie man, ausgehend von seinem Todesdatum, sehen kann, postum. Literatur und intellektuelle, wissenschaftliche Erkenntnis waren bei ihm unzertrennlich. Dies zeigt sich in seinen literarischen Werken ganz eindeutig. So waren seine Gestaltungsprinzipien und bereits in seiner Trilogie „Die Schlafwandler“(1931—1932), die aus drei Romanen besteht: „1888 –Pasenow oder Die Romantik; „1903 – Esch oder Die Anarchie“;

„1918 – Huguenau oder Die Sachlichkeit“. Die Erzählweise aller dreier Romane kann man als durchaus modernistisch bewerten. In der Trilogie wird der Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1918 erfasst. Hauptgegenstand der Darstellung ist der sittliche Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft. Darin kann man eine Reihe charakteristischer Figuren und Episoden entdecken, die auf den Leser einen nachhaltigen Eindruck bis heute machen können. Bemerkenswert ist im Text eines der Romane der philosophische Text vom „Zerfall der Werte“, in dem die Evolution des modernen Bürgertums in Richtung auf Atomisierung menschlicher Interessen und Zerrüttung des sittlichen Weltbildes veranschaulicht wird. Besonderen Eindruck macht der dritte Roman, wo als Hauptheld der sachliche und oppotunistische Geschäftsmann ohne jegliche moralischen Wertvorstellungen triumphierend hervortritt. Seine Bestrebungen sind einzig und allein auf die Verdrängung der Konkurenz und auf die alleinige Vorherrschaft ausgerichtet. Somit wird die Logik der Geschäftsleute als Gesamtlogik des kapitalistischen Zeitalters bewertet. Als Jude wurde Hermann Broch 1938 verhaftet. Ihm gelang es aber zu entkommen und in die USA zu fliehen. Dort arbeitete er an der Yale University am Thema „Massenpsychologie“. Als Epiker stand der späte H. Broch unter starkem Einfluss von James Joyce. Er schätzte sehr hoch den „Ulysses“ des letzteren. Nicht von ungefähr verglichen viele Literaturkritiker den „Ulysses“ mit dem Hauptwerk der späten Schaffensperiode Hermann Brochs „Der Tod des Vergil“(1945), eine Lebensbilanz in Monologform, in der es darum geht, den Dichterberuf zu überprüfen und neu zu bestimmen. Der berühmte antike Poet steht vor dem Dilemma von Wahrheit und Schönheit, gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit und weltlichem Ruhm. Mit großer künstlerischer Meisterschaft zeigt der Autor den Prozess des Sterbens, das allmählich erlöschende Bewusstsein, alle Erinnerungen, Assoziationen und Gedanken.

Die Erfahrungen mit dem Faschismus verarbeitete Hermann Broch in einem Zyklus von Erzählungen „Die Schuldlosen“ (1949). Als Helden dieser Texte treten Menschen auf, die wegen ihrer politischen Indifferenz zu Mitschuldigen werden.

Und der letzte Roman des Schrifstellers „Der Versucher“ (1953) ist eine Reaktion auf die jüngste, faschistische Vergangenheit.

Ein Abend Angst

 

Unter dem gestreiften Sonnensegel, das auch jetzt bei Nacht ausgespannt ist, stehen die leichten Korbtische und Korbstühle. Zwischen den Häuserreihen, durch die jungbelaubten Kronen der Alleen streicht der leise Nachtwind, man könnte meinen, der käme vom Meer. Aber es ist wohl nur das feuchte Pflaster; der Sprengwagen ist soeben durch die leere Straße gefahren. Ein paar Ecken weiter liegt der Boulevard, von dort hört man das Hupen der Autos.

Der junge Mann war vielleicht schon ein wenig angetrunken. Ohne Hut, ohne Weste ist er die Straße heruntergekommen; er hielt die Hände im Gürtel, damit der Rock weit aufklaffe und der Wind möglichst bis zum Rücken gelange: das war wie ein laukühles Bad.

Der Boden vor dem Cafe ist mit leicht stickig riechenden, braunen Kokosmatten belegt. Ein wenig unsicher wand sich der junge Mann zwischen den Korbstühlen hindurch, streifte da und dort einen Gast, lächelte entschuldigend und gelangte zu der offenstehenden Glastür.

Im Lokal war es womöglich noch kühler. Der junge Mann setzte sich auf die Lederbank, die unter der Spiegelreihe die Wände entlanglief, er setzte sich mit Bedacht der Türe gegenüber, damit er die kleinen Windstöße sozusagen aus der ersten Hand in die Lunge bekäme. Dass das Grammophon auf dem Bartisch gerade jetzt sein Spiel abbrach, ein paar Augenblicke lang zischte es noch kreisend und dann überließ es das Lokal seinen eigenen stillen Geräuschen – das war unangenehm boshaft, und der junge Mann schaute auf das blau-weiße Schachbrett des Marmorfußbodens. Ein Glas dunkles Bier stand vor ihm, und die Bläschen des Schaumes dehnten sich und zerplatzten.

Am Nebentisch, gleichfalls auf der Lederbank, saß jemand. Es wurde ein Gespräch geführt. Aber der junge Mann war zu faul, den Kopf hinzuwenden. Es waren eine fast knabenhafte männliche Stimme und die Stimme einer Frau. Ein dickes und dunkles Mädchen muss das sein, dachte der junge Mann, guttural-mütterlich ist sie. Aber jetzt sah er absichtlich nicht hin.

Die männliche Stimme sagte:

„Wie viel Geld brauchst du?“

Als Antwort kam ein guttural dunkles Lachen.

„So sag mir doch, wie viel du brauchst.“ (Stimme eines gereizten Knaben.)

Wieder das dunkle Lachen. Der junge Mann denkt: Jetzt hat sie nach seiner Hand gegriffen. Sodann hört er:

„Woher hast du denn so viel Geld?... und selbst wenn du es hättest, von dir nehme ich es nicht.“

Der junge Mann schaut auf den Marmorfußboden. Reste von Sägespänhäufchen sind noch sichtbar, sie verdichten sich um die Grundplatten der gusseisernen Tischfüße zu kleinen Dünen.

Nach einer Weile denkt der junge Mann: Wahrscheinlich ist ihr mit hundert Franken geholfen; ich habe noch zweihundert, ich könnte ihr also hundert geben.

Dabei hat er das Gespräch daneben verloren. Jetzt hört er wieder hin. Die Knabenstimme sagt:

„Ich liebe dich ja.“

„Eben deshalb darfst du nicht vom Geld sprechen.“

Der junge Mann denkt: Beide schicken sie ihre Stimmen aus, aus ihrer beider Münder kommt der Atem mit der Stimme, über den Tisch hin fließen Atem, fließen die Stimmen zusammen, sie vermählen sich, das ist das Wesen eines Liebesduetts.

Und richtig hört er wiederum:

„Ich liebe dich ja.“

Ganz leise kommt es zurück: „Oh, mein Kleiner.“

Jetzt küssen sie sich, denkt der junge Mann. Es ist gut, dass drüben kein Spiegel ist, sonst würde ich sie sehen.

„Noch einmal “, sagt die tiefe Stimme der Frau.

„Brauchst du das Ganze auf einmal?... in Raten könnte ich es schon aufbringen.“

„Lieber stürbe ich, als dass ich von dir Geld annähme.“

Hallo, denkt der junge Mann, das ist falsch; so spricht eine mütterliche Frau nicht, mit mir dürfte sie nicht so sprechen; sie will ihm das Geld doch wegnehmen. Und dann fiel ihm ein, dass man den Knaben vor dieser Frau schützen müsse. Aber weil er schon einiges getrunken hatte, vermochte er den Gedanken nicht weiter zu verfolgen; er hatte nun auch das Bier mit einem Zug geleert und fühlte sich ein wenig übel. Um die Magengegend fühlte er sich kalt, das Hemd klebte, und er holte tief Atem, um vorherige Behaglichkeit wiederzugewinnen. Es wäre gut, eine mütterliche Frau an der Seite zu haben.

Wenn ich mich umbringe, dachte er plötzlich, so gehe ich mit gutem Beispiel voran und der Kleine ist von ihr befreit.

Hinter der Bar bewegte sich eine ältliche Person in einem nicht sehr reinen rosa Kleid. Wenn sie mit dem Kellner dort sprach, dann sah man ihr Profil und zwischen Ober- und Unterkiefer ergab sich ein Dreieck, das sich öffnete und schloss.

Ich bin froh, dass ich die Frau neben mir nicht sehen muss, dachte er, und dann halblaut sagte er unversehens:

„Man kann sich ruhig umbringen.“

Das hatte er gesagt, er war darüber sehr erschrocken, aber nun erwartete er, dass seine Stimme sich mit jener beiden verflechten werde, und er maß aus, an welchem Punkte der Luft vor ihm dies geschehen könnte, so etwa zwei Meter vor seinem Tisch mussten sich die Linien der Stimmen treffen. Jetzt wird es ein Trio, dachte er, und horchte, wie sich die beiden dazu verhalten würden.

Aber sie hatten es wohl nicht beachtet, denn die Frau sagte halb spielerisch, halb ängstlich:

„Wenn er jetzt käme!“

„Er würde uns töten“, sagte die Knabenstimme, „aber er kommt nicht.“ Die beiden reden Mist, dachte der junge Mann, jetzt ist mir wohler, ich will jetzt einen Schnaps, und als der herbeigerufene Kellner kam, sagte er etwas deutlicher als zuvor:

„Jetzt kommt er.“

Aber die beiden gaben wieder nicht darauf acht, obwohl sie es möglicherweise doch gehört hatten, denn nun sagte die Frau:

„Vielleicht wäre es doch besser, wegzugehen.“

„Ja“, sagte der junge Mann.

„Nein“, sagte daneben die Knabenstimme, „das wäre sinnlos... wir können ihn ebensowohl auf der Straße treffen.“

Dort stehen Polizisten, dachte der junge Mann, und laut setzte er hinzu:

„Und hier bin nur ich.“

Doch die Frau sagte:

„Auf der Straße kann man davonlaufen.“

Sie hat mich doch gehört, dachte der junge Mann, aber sie enttäuscht mich, eine mütterliche Frau läuft nicht davon. Jetzt habe ich wieder Durst, was könnte ich noch trinken? Milch? Kellner, noch ein Bock, wollte er sagen, aber es war, als müsste er seine Stimme aufsparen, und so wartete er vorderhand. Dagegen rief die Frau am Nebentisch den Kellner, und es war ein Beweis für die vollzogene Verflochtenheit der Stimmen, als sie nun verlangte:

„Eine heiße Milch.“

Ich wollte weggehen, sagte sich der junge Mann, ich werde immer tiefer in das Schicksal verflochten, es geht mich nichts an, ich bin allein, er aber wird uns alle töten.

Der Kellner hatte eine spiegelnde Glatze. Wenn er unbeschäftigt war, lehnte er an der Theke und die Kassiererin mit auf- und zuklappendem Gebiss sprach mit ihm. Es war gut, dass man nicht verstand, was ihre Stimmen redeten.

Knäuel der Stimmen, die sich ineinander verflechten, die einander verstehen und von denen doch eine jede allein bleibt.

Nun sagte die Knabenstimme am Nebentisch:

„Oh, wie ich dich liebe... wir werden uns immer verstehen.“

Die Frau aber hatte geantwortet:

„Wir lieben uns bis zum Tode.“

„Er wird schon kommen und schießen“, sagte der junge Mann und war sehr befriedigt, weil er den Reflex der Mittellampe auf der Glatze des Kellners entdeckt hatte.

„Ich werde dich schützen“, sagte es nebenan.

Das hätte nicht er, das hätte sie sagen müssen, dachte der junge Mann, so ein kleiner blonder Bursch kann niemanden schützen, ich werde ihm eine herunterhauen und zur Mutter nach Hause schicken; es ist lächerlich, so einen Jungen ermorden zu lassen.

„Wir werden uns an den Händen halten“, sagte nun die Frau.

Ein Mann war hereingekommen, ein etwas dicklicher Mann mit schwarzem Schnurrbart; ohne ins Lokal zu schauen, hatte er sich an die Bar gelehnt, die Zeitung aus der Tasche gezogen, und während sein Vermouth neben ihm stand, begann er zu lesen.

Der junge Mann dachte: sie sehen ihn nicht. Und laut sagte er:

„Jetzt ist er da.“

Und weil sich nichts rührte, und auch der Mann an der Bar sich nicht umdrehte, rief er überlaut:

„Kellner, noch ein Bock.“

Der Wind draußen war stärker geworden, die herabhängenden Zacken des Sonnendaches bewegten sich, und wer an den Korbtischen dort Zeitung las, musste oftmals die Blätter mit einem kurzen, knisternden Schlag glätten.

Er hält die Zeitung verkehrt, dachte der junge Mann, aber das schien doch nicht zu stimmen, denn der Gast an der Theke unterhielt sich mit dem Fräulein offenbar über den Inhalt des Gelesenen; zumindest schlug er oftmals wie empört mit dem Handrücken und mit den Fingerknöcheln gegen eine bestimmte Stelle des Blattes.

Er liest schon seinen eigenen Prozess, dachte der junge Mann, und er ist darüber empört. Es ist sein gutes Recht, sie zu töten, uns alle zu töten. Und der junge Mann starrte auf die Stelle, an der sich seine Stimme mit deren der beiden verflochten hatte, verflochten, um sich immer wieder dort zu verflechten.

„Wir sind hier“, sagte er schließlich.

„Wenn ich das Geld aufbringe“, sagte die Frau, „...er ist käuflich.“

„Ich werde zahlen“, sagte der junge Mann, „ich... “, und er legte einen Hundertfrankenschein auf den Tisch.

Das Blut auf dem Marmorboden wird aufgewaschen und die Sägespäne werden darüber gestreut werden.

„Ich will nicht, dass du Sorgen hast“, sagte die Knabenstimme, „ich...“

„Ich will zahlen“, sagte angeekelt der junge Mann und starrte auf den Punkt der Verflechtung in der Luft. „Hier“, rief er erwartend, dass der Mann an der Bar sich endlich umdrehen und einen Schrei des Erkennens ausstoßen werde, einen Schrei, der mit den anderen Stimmen an diesem Punkt sich treffen werde.

Doch nichts geschah. Sogar der Kellner kam nicht, der war draußen auf der Terrasse beschäftigt, seine weiße Schürze wurde von der auffrischenden Brise hin und her geweht. Der Mensch an der Bar aber sprach ungerührt mit dem Fräulein weiter, der er das Zeitungsblatt hinübergereicht hatte.

Die Frau am Nebentisch sagte:

„Ich mache mir keine Sorgen, aber meine Füße und Hände sind schwer, wenn er käme, ich wäre wie gelähmt...“

„Man kann nicht fortgehen...“, sagte der junge Mann.

„Wir wollen heute nicht mehr daran denken“, sagte die Knabenstimme.

„Es nützt nichts...“, erwiderte der junge Mann, und er fühlte, dass sein Gesicht blass war und wie der Schweiß auf seiner Stirne stand.

„Oh, mein süßer Freund...“, sagte nun leise die Frau.

Der junge Mann nickte. Nun nimmt sie Abschied. Der Mensch an der Bar hat nun auch wirklich den Revolver hervorgezogen und zeigt dem Kellner, wie die Waffe funktionieren wird. Die Sache mit der Zeitung war also Vorbereitung gewesen, eine sehr richtige Vorbereitung, warum soll nicht alles einmal verkehrt ablaufen?

Um den Kellner abzulenken, rief der junge Mann:

„Noch ein Bock“, und dabei schwenkte er die Hundertfrankennote, um sie dem Schützen zu zeigen. Aber der kehrte sich nicht daran, sondern schraubte an der Waffe weiter herum, um sie schussbereit zu machen.

Das Fräulein setzte eine Reihe Gläser auf den Bartisch, eine Kette von Gläsern, und immer, wenn sie eines hinstellte, klirrte es leise und klingend. Der Revolver knackte. Die Instrumente werden gestimmt, dachte der junge Mann, wenn alle Stimmen zusammenklingen, dann ist der Augenblick des Todes da.

„Schön ist heute die Nacht unter den Bäumen, unter den klingenden Sternen“, sagte die sanfte Stimme der Frau.

„Unter den klingenden Sternen des Todes“, sagte der junge Mann, und wusste nicht, ob er es gesagt hatte.

Die Knabenstimme aber sagte:

„In einer solchen Nacht könnte ich an deiner Brust sterben.“

„Ja“, sagte der junge Mann.

„Ja“, sagte die Frauenstimme ganz tief, „komm.“

Und nun bewegte sich der Mensch an der Bar, ganz ohne Eile und ganz langsam bewegte er sich. Er nahm erst das Zeitungsblatt aus den Händen der Kassiererin zurück, und nochmals schlug er bekräftigend auf die Stelle, die von seinem Prozess berichtete. Hierauf wandte er sich langsam zum Lokal und sagte laut und deutlich:

„Die Exekution kann beginnen.“

Seine Stimme war weich und doch abgehackt. Sie trug bis zu dem Punkt der Verflechtung, bis zu diesem Punkt, auf den der junge Mann mit aller Anstrengung hinstarrte, und dort blieb sie hängen.

Der junge Mann aber sagte: „Nun ist die Kette geschlossen.“

Und wohl, weil es galt, die gebannten und gelähmten Blicke aller Anwesenden auf sich zu ziehen, hob der Mensch an der Bar mit großer runder Geste den Revolver, er hob ihn empor und dann verbarg er ihn hinter seinem Rücken. So kam er näher. Man hörte seinen Atem. Selbstverständlich ging er auf den Nebentisch los, ja das war selbstverständlich. Und weil nun der Augenblick der Katastrophe da war, weil die rücklaufende Zeit das Jetzt nun erreicht hatte, um an diesem Punkte des Todes zur Vergangenheit zu werden, da gestattete sich der junge Mann, den Traum aufzudecken, ehe er endgültig in ihm versinken sollte, und den daherkommenden Menschen verfolgend, blickte er zum Nebentisch.

Der Nebentisch war leer, das Paar war verschwunden. Und gleichzeitig begann das Grammophon den «Pere de la Victoire» zu spielen.

Der Kellner war dem Menschen gefolgt. Der junge Mann hielt ihm den Hundertfrankenschein hin:

„Haben die Herrschaften, die hier saßen gezahlt?“

Der Kellner sah ihn verständnislos an.

„Ich wollte nämlich auch für sie bezahlen.“

„Alles ist bezahlt, mein Herr“, sagte der Kellner.

Der Fremde sagte mit seiner weichen und eigentlich fettigen Stimme:

„Seien Sie doch nicht so ehrlich, mein Freund.“

Ich bin wirklich besoffen, dachte der junge Mann, zum Sterben besoffen.

Die Kassiererin begann nun die Gläserreihe zu reinigen. Sie nahm ein Glas nach dem andern, es klirrte klingend, und jedes Glas spiegelte die Lichter des Lokals. Doch der Wind draußen war abgeflaut.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

 

I.

1. Worin bestand der Einfluss von James Joyce auf den Schriftsteller?

2. Wie würden Sie die Schaffensmethode von Hermann Broch charakterisieren?

3. Wo liegt der Unterschied zwischen Begriffen “Schaffensmethode“ und „Stil“?

4. Zu welcher Gattung würden Sie den gelesenen Text zählen? Bestimmen Sie auch das Genremäßige daran. 5. Sprechen Sie von der generalisierenden und konkretisierenden Bedeutungen des Titels.

6. Bestimmen Sie das Thema des Textes. Mit welcher Problematikhaben wir hier zu tun? Wie ist hier das Pathos?

7. Äußern Sie sich zu dem Sujetaufbau des Gelesenen. Was versteht man darunter? Was realisiert das Sujet? Wie ist es aufgebaut? (konzentrisch oder chronikalisch?) Charakterisieren Sie die Dynamik des Sujets und seine Bestandteile.

8. Welche Verfahren der Komposition prägen die Form des Werkes? (Aposiopese, Motivation, Psychologisierung).

9. Was können Sie zu dem Figurensystem sagen? (Figurenkonstellation, Namen, Psychologisierung, Gestaltungsmittel, Ideen)

10. Wie wird der Text äußerlich und innerlich gegliedert?

11. Welche Darstellungsarten und Arten der Rededarstellung überwiegen im Text?

12. Was können Sie von dem Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit im Text sagen?

II.

1. Was prägt den Sprachbau des gelesenen Textes?

2. Auf welchen Stilmitteln basiert die Bildkraft des vorliegenden Textes?

3. Welche Rolle spielt die Wortwahl im vorliegenden Text?

 

Nehmen Sie Stellung zu folgender Aussage:

Die großösterreichische Dichtung zwischen Kafka und Broch ist ein einzigartiger Versuch, Österreich zu retten; Glanz und Elend, Größe und Grenze des alten Reiches zu bergen, zu erhellen – bis in die letzten Fragwürdigkeiten und Abgründe hinein.

Friedrich Heer

II.12. Georg Trakl (1887—1914)

Wurde in Salzburg 1887 geboren. Er wurde Apotheker und dank dem Literaturkreis um die Zeitung „Der Brenner“ bekam er Anerkennung als Dichter. In einer Sanitätskolonne zog er in den ersten Weltkrieg. Er sah das Leiden der Verwundeten und litt selbst darunter. Heute ehrt man ihn als einen der größten Lyriker seiner Zeit. Seine wichtigsten Veröffentlichungen zur Lebenszeit waren „Gedichte (1913)“ und „Sebastian im Traum“ (1914). In der Ahnung der Ereignisse sah der Dichter die Welt als herbstliche Trauer und Verwesung. Sein dichterischer Ton stellte die Fortsetzung der Stimmungen von Baudlaire und Hofmannsthal dar. Die menschliche Situation bestimmte er mit dem Motiv „Einsamkeit“. Die Anklänge des späten Impressionismus bemerkt man in der Fülle seiner Farbenabstufungen und in der Musikalität der Gedichte. In den späten Versen Trakls spürt man hölderlinsche Sprachgewalt, die bis an die Grenze des Sagbaren stößt. „Grodek“ war sein letztes Gedicht, welches man als „das gewaltigste abendländische Gedicht des Weltkrieges“ erklärte. 1914 setzte Georg Trakl seinem leidvollen Leben selbst ein Ende.

Klage und Verzweiflung über eine Welt, in der der Mensch sich selbst als bloßes Objekt erlebt, bestimmen die meisten Gedichte dieses Poeten. Sein Weltgefühl realisiert sich in seiner Lyrik als düstere Zeichen von Zerstörung. Der Dichter blickt auf die Welt ohne jeglichen Trost. Der allgemeine Verfall flößt ihm unsägliches Leid ein.

Aber das war nicht immer so. In seinen Frühgedichten versucht der dichter der hässlichen Wirklichkeit die schöne Welt einer inneren Landschaft entgegenzustellen und das gelingt ihm nicht selten. Viele Gedichte aus der Frühphase werden von wohllautenden Melodien durchklungen, die sich aber bald verflüchtigen. Seine Weltsicht wird irrationalistisch und fatalistisch. Den Verfall nimmt er als Schicksal. Mit dem Leben wird er nicht mehr fertig, er empfindet es als verfehlt und flüchtet in Alkohol und Drogenräusche. Schuldgefühle, Schreckbilder und Wahnvorstellungen machen nunmehr den Gehalt vieler seiner lyrischen Texte aus. Das Innen und Außen wird bei ihm zum Verfall und tiefer Trauer. Derartige Gedichte lassen sich rational schwer durchdringen, aber niemand kann ihnen große, eindringliche Suggestivkraft absprechen. Sie kennen keine wahre Subjekt-Objekt-Dialektik der Weltabbildung, ihnen liegt eine ausgesprochen subjektivistische Poetik zugrunde. die nichts mehr von der wahren Einheit des Individuellen, des Besonderen und Allgemeinen wissen will und kann. Der lyrische Held fühlt sich als etwas total Einsames, Fremdes und Heimatloses.

Dem Dichter erscheint seine Zeit als gottloses verfluchtes Jahrhundert und die Welt als dämonisiert, vergespenstert und verrätselt. Das wird vor allem durch die Setzung der Adjektive und Farben erreicht, die als absolute Metaphern von Stimmung und Vorstellung gebraucht werden. Der Kontrast wird zum Lieblingsmittel der Darstellung der äußeren Welt in Form unheimlicher Atmosphäre. Das steigert immens die Suggestiv- Aussagekraft der poetischen Bilder, die sich dauernd wiederholen und zwangsläufig zur Monotonie führen. Die traurigen, klagenden Töne wirken am Ende zu eintönig, um großes ästhetisches Empfinden auszulösen und den heutigen Leser zu befriedigen.

 

Trübsinn

 

Weltunglück geistert durch den Nachmittag.

Baracken fliehn durch Gärtchen braun und wüst.

Lichtschnuppen gaukeln um verbrannten Mist,

Zwei Schläfer schwanken heimwärts, grau und vag.

 

Auf der verdorrten Wiese läuft ein Kind

Und spielt mit seinen Augen schwarz und glatt.

Das Gold tropft von den Büschen trüb und matt.

Ein alter Mann dreht traurig sich im Wind.

 

Am Abend wieder über meinem Haupt

Saturn lenkt stumm ein elendes Geschick.

Ein Baum, ein Hund tritt hinter sich zurück

Und schwarz schwankt Gottes Himmel und entlaubt.

 

Ein Fischlein gleitet schnell hinab den Bach;

Und leise rührt des toten Freundes Hand

Und glättet liebend Stirne und Gewand.

Ein Licht ruft Schatten in den Zimmern wach.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Deuten Sie den Titel des Gedichtes.

2. Was ist sein Thema?

3. Finden Sie die Pointe des lyrischen Textes.

4. Welches Pathos durchdringt dieses Gedicht?

5.Welche lyrische Sprechweise verwendet der Dichter hier?

6. Gibt es darin ein lyrisches Subjekt?

7. Worin zeigt sich in diesem Gedicht die Zugehörigkeit zum Expressionismus?

8. Was wissen Sie vom Reihungsstil des Expressionismus?

9. Was können sie vom Verhältnis von Vers und Satz im Gedicht sagen?

10. Welches Reimschema verwendet hier der Dichter?

11. Analysieren Sie die Form des Gedichtes: Vers und Strophe.

12. Welches Metrum verwendet der Dichter in seinem lyrischen Text?

13. Wie viel Hebungen weisen die Verse auf?

14. Orientierte sich der Autor am Vorbild des Liedes?

15. Wie ist die Qualität der Reime in diesem Gedicht?

16. Liegt hier eine klare inhaltliche Gliederung vor? (Gibt es hier formale Signale dafür?)

II.

1. Versuchen sie das Gedicht aus stilistischer Sicht zu analysieren!

2. Welche Stilmittel verwendet der Dichter, um die poetische Aussagekraft seines Textes zu steigern?

Verfall

 

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,

Flog ich der Vögel wundervollen Flügen,

Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen

Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.

 

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten

Träum ich nach ihren helleren Geschicken

Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.

So flog ich über Wolken ihren Fahrten.

 

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.

Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.

Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,

 

Indes wie blasser Kinder Todesreigen

Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,

Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Äußern Sie sich zu dem Motiv des Verfalls.

2. Was thematisiert das Gedicht?

3. Welche Symbole finden Sie hier?

4. Zu welchem lyrischen Genre gehört das Werk?

5. Gibt es strenge Vorschriften für diese Form?

6. Hält sich der Autor an die Tradition des Genres? Beweisen Sie Ihre Behauptung.

7. Welche Stimmungen überwiegen in diesem Gedicht?

 

8. Wo entdecken Sie Merkmale der literarischen Richtung?

9. Merkmale welcher literarischen Stilrichtungen kann man hier feststellen?

10. Nennen Sie die Konstanten der Schaffensmethode des Dichters.

11. Welcherart Versfüße verwendet hier der Dichter?

12. Gibt es im Gedicht viele Beispiele für das Enjambement?

13. Welche Schreibweise in Bezug auf das Verhältnis von Vers und Satz überwiegt hier?

14. Welches Reimschema wird im Gedicht vom Autor verwendet?

15. Was kann man von der Qualität der Reime im Gedicht sagen?

16. Betrachten Sie das Sonett unter dem Blickwinkel „Tradition“ und „Innovation“.

II.

1. Nehmen Sie Stellung zu dem Satzbau und der Wortwahl im Gedicht.

2. Welche Mittel der Bildkraft verwendet hier der Dichter, um die Wirkung seines Textes zu intensivieren?

Verklärter Herbst

 

Gewaltig endet so das Jahr

Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.

Rund schweigen Wälder wunderbar

Und sind des Einsamen Gefährten.

 

Da sagt der Landmann: Es ist gut.

Ihr Abendglocken lang und leise

Gebt noch zum Ende frohen Mut.

Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

 

Es ist der Liebe milde Zeit.

Im Kahn den blauen Fluss hinunter

Wie schön sich Bild an Bildchen reiht-

Das geht in Ruh und Schweigen unter.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Beginnen Sie die Gedichtanalyse mit der Feststellung der Funktion des Titels.

2. Passt der Titel zu dem Gedicht? Steht er im Spannungsverhältnis zum Verstext?

3. Liefert er die entscheidende Pointe zum Verständnis des Gedichtes?

4. Welchen Titel würden Sie selbst dem Gedicht geben?

5. Welches Pathos prägt den Stil des Dichters in diesem Werk?

6. Formulieren Sie sein Thema, seine Motive.

7. Merkmale welcher literarischen Stilrichtungen lassen sich hier finden?

8. Welches Reimschema verwendet hier der Dichter?

9. Gibt es hier viele Zeilensprünge? Oder überwiegt hier der Zeilenstil?

 

10. Das poetische Wort und seine Funktionen im Gedicht.

11. Worauf basiert die Rhythmik des Gedichts?

12. Welches Reimschema ist hier verwendet?

13. Was können sie von der Qualität der Reime sagen?

14. Stimmen im Gedicht die Satzlänge und die Länge des Verses immer überein?

15. Was können sie von der Bild- und Aussagekraft des Gedichtes sagen?

16. Welches Pathos und welche Stimmungen überwiegen im Gedicht?

 

II.

1.Nennen Sie die aussagekräftigsten Stilmittel im Gedicht!.

2. Welche Rolle spielen im vorliegenden Text metaphorische Ausdrücke?

 

Geistliche Dämmerung

 

Stille begegnet am Saum des Waldes

Ein dunkles Wild;

Am Hügel endet leise der Abendwind,

 

Verstummt die Klage der Amsel,

Und die sanften Flöten des Herbstes

Schweigen im Rohr.

 

Auf schwarzer Wolke

Befährst du trunken von Mohn

Den nächtlichen Weiher,

 

Den Sternenhimmel.

Immer tönt der Schwester mondene Stimme

Durch die geistliche Nacht.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Wie realisiert sich die Idee des Gedichtes im Titel?

2. Welche Motive sind im Text realisiert?

3. Entdecken Sie hier Symbole?

4. Besteht hier die Terzine (die Strophenform von Dantes (1265-1321) Divina Commedia) aus drei fünfhebigen, alternierenden Versen mit Auftakt?

5. Was können Sie von den Versenden im Gedicht sagen?

6. Welche Besonderheiten des Rhythmus kann man im Gedicht feststellen?

7. Welches Verhältnis von Satz- und Verslänge überwiegt hier?

8. Ist das Gedicht in Reimen, Blankversen oder freien Rhythmen geschrieben?

9. Züge welcher literarischen Stilrichtung haben Sie im Gedicht festgestellt?

II.

1. Welche Mittel der Bildhaftigkeit und Bildlichkeit verwendet der Autor in seinem Gedicht?

2. Bewirkt die Satzlänge in diesem Gedicht einen eigenartigen Rhythmus?

3. Was können Sie von der Wortwahl in diesem Gedicht sagen?

4. Steigert sich die Bildkraft der poetischen Aussage dank der verwendeten Stilmittel?

 

Grodek

 

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder

Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen

Und blauen Seen, darüber die Sonne

Düster hinrollt; umfängt die Nacht

Sterbende Krieger, die wilde Klage

Ihrer zerbrochenen Münder.

Doch Stille sammelt im Weidengrund

Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,

Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;

Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen

Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,

Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;

Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.

O stolzere Trauer! Ihr ehernen Altäre,

Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,

Die ungebornen Enkel.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Zu welcher literarischen Stilrichtung gehört dieses Gedicht?

2. Welches Thema prägt die poetische Aussage des Gedichts?

3. Mittels welcher Motive realisiert sich das Thema im Gedicht?

4..Bestimmen Sie den Hauptgedanken des Gedichtes.

5. Welche lyrische Sprechweise überwiegt im Gedicht?_

6. Was kann man von der Gliederung dieses Textes sagen?

7. Welcherart Rhythmus wurde im Gedicht verwendet?

II.

1. Nehmen Sie Stellung zu den rhetorischen Figuren im Text.. 2. Charakterisieren Sie die Wortwahl und die Syntax im Text aus stilistischer Sicht. 3. Welche Stilmittel steigern in erster Linie die poetische Bild- und Aussagekraft des vorliegenden Textes?

 

II.13. Georg Heym (1887—1912)

Wurde 1887 geboren. Als er 25 Jahre alt war, ertrank er unter dem Eis der Havel. Man war der Meinung, dass mit ihm eine große Hoffnung der deutschen Dichtung schwand. Er besaß vitale Energie, Spürsinn für drohendes Unheil und visionäre Kräfte eines Expressionisten. Er betrachtete das Leben als eine Fackel im schwarzen Dunkel. Seine Lyrik war eine Beschwörung des erbarmungslosen Daseins. Der Anblick der großen Städte weckte in ihm Angstträume und Untergangsgedanken.

Georg Heym war wie Georg Trakl eine starke poetische Begabung. Auch die kurze Lebensdauer macht sie einander ähnlich. Ihre Reaktion auf die Wirklichkeit war auch vielfach ähnlich, aber bei weitem nicht in allem. Ihr expressionistischer Reihungsstil eint sie, und das häufig fehlende lyrische Subjekt.

Ihre wesentlichen Unterschiede bestehen in der Verschiedenheit ihres Weltverständnisses. Er klagte und beklagte nicht, wie das Georg Trakl tat, er rebellierte und protestierte gegen die Widrigkeiten des „verfluchten Jahrhunderts“. Er hatte einen ausgesprochen wachen historischen Sinn und war eher eine begeisterte, sich nach Größe und Heroismus sehnende Natur, die Handlungsmöglichkeiten suchte.

Die Protesthaltung des Dichters gilt vor allem der kapitalistischen Großstadt und dem Krieg, die in seinen Gedichten „Der Gott der Stadt“ und „Der Krieg“ als Dämonen, „böse Götter“ hervortreten. Er fühlt ihnen gegenüber Ohnmacht und zugleich Wunsch nach Auflehnung und Revolte. Das Spannungsverhältnis von Depression und Aggression charakterisiert viele seine Gedichte. In vielen lyrischen Texten des Dichters herrscht Aufbruchsstimmung, die für expressionistische Gedichte anderer Autoren kennzeichnend war.

Der Berliner Georg Heym kannte sehr gut die Probleme der großstädtischen Metropole Deutschlands mit ihrer Industrie, Fabriken und Schloten, mit der Anhäufung von Menschenmassen und Anonymität. Er sah ganz eindeutig die Ausbeutung und Entfremdung, die vor allem für Großstädte typisch waren.

Seine Gedichte über Berlin beeindrucken bis heute den Leser durch ihre wuchtige Sprachgewalt und Anschaulichkeit, durch ihre rebellische Haltung und ihr beeindruckendes Pathos. Die Maschine personifiziert sich zum Moloch und der Gott der Großstädte zum bösen Vernichter als Baal.

 

Der Gott der Stadt

 

Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.

Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.

Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit

Die letzten Häuser in das Land verirren.

 

Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,

Die großen Städte knien um ihn her.

Der Kirchenglocken ungeheure Zahl

Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.

 

Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik

Der Millionen durch die Straßen laut.

Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik

Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.

 

Das Wetter schwält in seinen Augenbrauen.

Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.

Die Stürme flattern, die wie Geier schauen

Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.

 

Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust.

Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt

Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust

Und frisst sie auf, bis spät der Morgen tagt.

 

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Welches Thema und welche Motive exponieren hier den Expressionismus?

2. Wie oft verwendet der Dichter im Text den expressionistischen Reihungsstil?

3. Von welchem Pathos wird das Gedicht dominiert?

4. Führen Sie Beispiele des expressionistischen Subjektivismus an!.

5. Finden Sie die Pointe im Text.

6. Wie ist im Text das Verhältnis von Vers und Satz?

7. Was können Sie vom Reimschema im Gedicht sagen?

8. Was kann man von der Qualität der Reime im Gedicht sagen?

9. Welches Metrum ist im Gedicht verwendet?

10. Entdecken Sie die rhythmischen Konstanten jeder Strophe.

11. Welche Funktion erfüllt hier der Zeilensprung (Enjambement)?

12. Wird hier die Anapher häufig verwendet? 13. Wie werden hier die Verse syntaktisch gebaut?

14. In welchem Verhältnis stehen im Gedicht die Verse und die Sätze?

15. Können Sie im Text die Klangmittel entdecken, die die Ausdruckskraft des Gedichtes in erheblichem Maße steigern (z.B. Alliterationen und Assonanzen).

16. Welches Reimschema verwendet der Autor in seinem Text?

17. Können Sie die Qualität der Reime bestimmen?

II.

1. Gefällt Ihnen die Wortwahl im Gedicht?

2. Bestimmen Sie die Funktion der Tropen im Text.

3. Wird die Aussagekraft des Textes durch die Stilmittel in erheblichem Maße gesteigert?

 

Der Krieg

 

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,

Aufgestanden unten aus Gewölben tief.

In der Dämmrung steht er, groß und unbekannt,

Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

 

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,

Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit.

Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.

Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

 

In den Gassen fasst es ihre Schulter leicht.

Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.

In der ferne zittert ein Geläute dünn.

Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

 

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an,

Und er schreit: „Ihr Krieger alle, auf und an!“

Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,

Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

 

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,

Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.

Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,

Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

 

Und mit tausend Zipfelmützen weit

Sind die finstren Ebnen flackend überstreut.

Und was unten auf den Straßen wimmelnd flieht,

Stößt er in die Feuerwälder, wo die Flamme brausend zieht.

 

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,

Gelbe Fledermäuse, zackig in das Laub gekrallt,

Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht

In die Bäume, dass das Feuerbrause recht.

 

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,

Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.

Aber riesig über glühnden Trümmern steht,

Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht

 

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,

In des toten Dunkels kalten Wüstenein,

Dass er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,

Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

Fragen und Aufgaben zum Text:

I.

1. Welche Merkmale machen dieses Gedicht typisch expressionistisch?



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