Mit dem Akkordeon war es genauso. 


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Mit dem Akkordeon war es genauso.



Oft wollte sie fragen, ob Papa ihr das Spielen beibringen könne, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Vielleicht wusste sie intuitiv, dass sie nie in der Lage sein würde, so zu spielen wie Hans Hubermann. Nicht einmal der weitbeste Akkordeonspieler konnte sich mit ihm messen. Auf keinem anderen Gesicht lag jener Ausdruck von gelassener Konzentration. Kein anderer Musiker hatte eine Zigarette zwischen den Lippen, die er gegen den Anstrich einer Jalousie eingetauscht hatte. Und keiner von ihnen konnte eine falsche Note im Nachhinein mit dem Dreiklang eines Lachens quittieren. Nicht so wie er.

Manchmal wachte sie in diesem Keller auf und spürte den Klang des Akkordeons in den Ohren. Sie fühlte das süße Brennen des Champagners auf der Zunge.

Manchmal lehnte sie an der Wand und sehnte sich nach dem warmen Finger aus Farbe, der noch einmal ihren Nasenflügel hinabrinnen möge, oder nach dem Anblick von Papas Sandpapierhänden.

Wenn sie doch noch ein Mal so ahnungslos sein und, ohne es zu wissen, solche Liebe verspüren könnte, wenn sie noch ein Mal diese Liebe mit Lachen und Brot mit einem Hauch Marmelade verwechseln könnte.

Es war die schönste Zeit ihres Lebens.

Lasst euch nicht täuschen. Es war ein Bombenteppich.

Kühn und strahlend zog sich die Trilogie des Glücks durch den Sommer und bis in den Herbst hinein. Und dann nahm sie ein jähes Ende, denn die strahlende Helligkeit hatte dem Leid den Weg gewiesen.

Harte Zeiten näherten sich.

Wie bei einer Parade.

Mit großen Schritten.

DUDEN BEDEUTUNGSWÖRTERBUCH - ERSTER EINTRAG

Glück: Zustand innerer Harmonie und Zufriedenheit. Synonyme: Freude, Seligkeit, Wonne.

DIE TRILOGIE

Liesel arbeitete, und Rudi rannte.

Er drehte Runden auf dem Sportplatz, rannte um die Häuserblocks und lieferte sich mit fast allen ein Wettrennen, vom Fuße der Himmelstraße bis zu Frau Lindners Eckladen, wobei er seinen Gegnern jeweils einen gehörigen Vorsprung gab.

Wenn Liesel Mama in der Küche half - was zurzeit selten vorkam -, schaute Rosa hin und wieder aus dem Fenster und sagte:»Was heckt dieser kleine Saukerl wohl diesmal wieder aus? Was soll diese Rennerei?«

Liesel kam zum Fenster.»Wenigstens hat er sich nicht wieder schwarz angemalt.«

»Na, das ist doch schon mal was, nicht wahr?«

RUDIS GRÜNDE

Mitte August fand ein Sportfest der Hitlerjugend statt, und Rudi beabsichtigte, vier Wettkämpfe zu gewinnen: die 1500, 400, 200 und natürlich die 100 Meter. Er mochte seine neuen Anführer bei der Hitlerjugend und wollte ihnen gefallen, und er wollte seinem alten Freund Franz Deutscher eins auswischen.

»Vier Goldmedaillen«, sagte er eines Nachmittags zu Liesel, als sie mit ihm auf dem Sportplatz rannte.»Wie Jesse Owens 1936.«

»Bist du immer noch so besessen von ihm?«

Rudis Füße hämmerten im Rhythmus seines Atems.»Eigentlich nicht, aber es wäre doch schön, oder? Es würde all den Mistkerlen, die mich für verrückt halten, das Gegenteil beweisen. Dann würden sie merken, dass ich doch nicht so dämlich war.«

»Aber kannst du wirklich vier Wettkämpfe gewinnen?«

Sie kamen am Ende der Bahn zum Stehen, und Rudi legte die Hände auf die Hüften.»Ich muss.«

Sechs Wochen lang trainierte er. Dann war der Tag des Sportfests gekommen. Es war Mitte August, und der Himmel war sonnenheiß und wolkenlos. Das Gras wurde von der Hitlerjugend, den Eltern und einer Menge von braunbehemdeten Anführern niedergetrampelt. Rudi Steiner war topfit.

»Schau«, sagte er.»Da ist Deutscher.«

Inmitten der Grüppchen, die sich in der Menge gebildet hatten, stand der blonde Inbegriff des Hitlerjugend-Ideals und gab zweien seiner Untertanen Befehle. Sie nickten und dehnten gelegentlich ihre Glieder. Einer von ihnen beschattete mit der Hand die Augen, wie zum Salut.

»Willst du ihm Guten Tag sagen?«, fragte Liesel.

»Nein, vielen Dank auch. Das mache ich später.«

Wenn ich gewonnen habe.

Die Worte wurden nicht ausgesprochen, aber sie standen da, zwischen Rudis blauen Augen und Deutschers befehlenden Händen.

Es folgte der obligatorische Marsch über den Platz. Die Nationalhymne. Heil Hitler.

Erst dann konnten sie anfangen.

Als Rudis Altersgruppe für die 1500 Meter aufgerufen wurde, wünschte ihm Liesel Glück.

»Hals- und Beinbruch, Saukerl.«

Jungen sammelten sich am Ende des ovalen Feldes. Ein paar machten Dehnübungen, andere konzentrierten sich, und der Rest war da, weil er da sein musste.

Neben Liesel saß Barbara, Rudis Mutter, mit ihren Jüngsten. Eine dünne Decke war randvoll mit Kindern und Grashalmen.»Könnt ihr Rudi sehen?«, fragte sie die Kleinen.»Er steht da ganz links.«Barbara Steiner war eine freundliche Frau, die immer frisch gekämmt aussah.

»Wo?«, fragte eines der Mädchen, wahrscheinlich Bettina, das jüngste.»Ich kann ihn nicht sehen.«

»Da. Der Letzte. Nein, nicht da. Da.«

Sie waren immer noch mit Suchen beschäftigt, als der Startschuss erklang. Rauch zog auf. Die kleinen Steiners sausten zum Zaun.

Auf der ersten Runde führte eine Gruppe von sieben Jungen das Feld an. Auf der zweiten Runde waren es noch fünf und auf der letzten noch vier. Rudi lief an vierter Position, bis zur letzten Runde. Ein Mann rechts von ihnen behauptete, dass der Junge, der derzeit Zweiter war, den besten Eindruck machte. Er war am größten.»Wart's nur ab«, sagte er zu seiner verblüfften Frau.»Wenn die letzten 200 Meter anbrechen, läuft er den anderen davon.«Der Mann irrte sich.

Ein riesiger Mann in einem braunen Hemd informierte die Rennläufer darüber, dass die letzte Runde angebrochen war. Er sah nicht so aus, als ob er unter irgendeiner Rationierung zu leiden hätte. Er rief ihnen etwas zu, als die Spitzengruppe die Start-Ziel-Linie überlief, aber es war nicht der zweite Junge, der beschleunigte, sondern der vierte. Und er tat es zweihundert Meter früher als erwartet.

Rudi rannte.

Zu keinem Zeitpunkt schaute er zurück.

Wie ein Gummiband baute er seine Führung auf, bis jeder Gedanke an einen möglichen anderen Sieger in sich zusammenfiel. Er flog über die Bahn, während sich hinter ihm die drei anderen Läufer der ehemaligen Spitzengruppe um den zweiten Platz stritten. Auf der Zielgeraden war nur noch blondes Haar und viel Abstand zu sehen, und als er über die Ziellinie lief, blieb er nicht stehen. Er riss nicht die Arme in die Höhe, sank nicht vor Erleichterung zusammen. Er lief noch zwanzig Meter weiter und schaute erst dann über die Schulter zurück, um mit anzusehen, wie die anderen ins Ziel kamen.

Auf dem Weg zu seiner Familie begegnete er zuerst seinen Anführern und dann Franz Deutscher. Die beiden nickten sich zu.

»Steiner.«

»Deutscher.«

»Sieht so aus, als hätte es sich ausgezahlt, dass ich dich die ganze Zeit Runden habe laufen lassen.«

»Sieht so aus.«

Das Lächeln sparte er sich auf für den Zeitpunkt, wenn er alle vier Rennen gewonnen haben würde.

EINE TATSACHE, DIE SPÄTER BEDEUTSAM WERDEN WIRD

Rudi war nun nicht nur als guter Schüler anerkannt, sondern auch als vielversprechender Athlet.

Liesel startete über 400 Meter. Sie kam als Siebte ins Ziel, und über die 200 Meter wurde sie Vierte. Alles, was sie vor sich sehen konnte, waren die Kniesehnen und die hüpfenden Pferdeschwänze der Mädchen, die ihr vorausliefen. Beim Weitsprung genoss sie das Gefühl des Sandes, der sich um ihre Füße schloss, mehr, als dass sie sich um die Weite scherte, und auch das Kugelstoßen absolvierte sie nur mäßig. Dieser Tag, das war ihr klar, gehörte Rudi.

Im 400-Meter-Finale ging er schon vor der Geraden in Führung und ließ sie sich nicht mehr nehmen. Die 200 Meter gewann er nur knapp.

»Wirst du müde?«, fragte Liesel ihn. Es war mittlerweile früher Nachmittag.

»Natürlich nicht.«Er atmete schwer und dehnte seine Oberschenkel.»Wovon redest du überhaupt, Saumensch? Was weißt du denn schon davon?«

Als die 100-Meter-Läufe angekündigt wurden, erhob er sich langsam und folgte der Gruppe von Jugendlichen zum Start. Liesel kam ihm nach.»He, Rudi.«Sie zupfte ihn am Ärmel.»Viel Glück.«

»Ich bin nicht müde«, sagte er.

»Ich weiß.«

Er zwinkerte ihr zu.

Er war müde.

Im Vorlauf lief Rudi langsamer und beendete das Rennen als Zweiter. Weitere zehn Minuten, in denen die anderen Vorläufe stattfanden. Dann wurde der Endlauf ausgerufen. Zwei andere Jungen wirkten frisch und ausgeruht, und in Liesels Bauch nagte das Gefühl, dass Rudi dieses Rennen nicht gewinnen könne. Tommi Müller, der in seinem Lauf Vorletzter geworden war, stand neben ihr am Zaun.»Er wird gewinnen«, erklärte er.

»Ich weiß.«

Nein, wird er nicht.

Als die Finalisten sich der Startlinie näherten, ließ sich Rudi auf die Knie fallen und grub mit seinen Händen Startlöcher in den Boden. Ein kahl werdendes Braunhemd marschierte auf ihn zu und befahl ihm, die Mätzchen zu lassen. Liesel sah auf den deutenden Finger des Erwachsenen und auf den Schmutz, der zu Boden rieselte, als Rudi sich die Hände abwischte.

Die Läufer wurden aufgerufen. Liesels Hände umschlossen die Zaunlatte fester. Einer der Wettkämpfer verursachte einen Fehlstart; aus der Starterpistole ertönte ein zweiter Schuss und rief die Läufer zurück. Der Fehlstarter war Rudi. Wieder richtete der Mann im braunen Hemd das Wort an ihn, und der Junge nickte. Beim zweiten Mal würde er draußen sein.

Wieder machten sich die Läufer fertig. Liesel schaute mit gebannter Aufmerksamkeit zu, und ein paar Sekunden lang begriff sie nicht, was sie da sah. Erneut gab es einen Fehlstart, und es war derselbe Athlet, der schon für den ersten verantwortlich war. Vor Liesels geistigem Auge lief ein perfektes Rennen ab, in dem Rudi im Mittelfeld blieb, aber am Ende mit mehr als zehn Metern Vorsprung gewann. Was sie tatsächlich sah, war Rudis Disqualifikation. Er wurde von der Bahn geführt und an der Seite abgestellt. Dort stand er dann, allein, als die restlichen Jungen ein drittes Mal vortraten.



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