Du bist gewachsen, dachte ich, aber ich erkenne dich. 


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Du bist gewachsen, dachte ich, aber ich erkenne dich.



Sie wich nicht zurück, versuchte auch nicht, gegen mich anzukämpfen, aber ich bin mir sicher, dass irgendetwas dem Mädchen verriet, dass ich da war. Konnte sie meinen Atem riechen? Konnte sie meinen verfluchten, kreisenden Herzschlag hören, der sich wie die Sünde, die er ist, in meiner tödlichen Brust um sich selbst dreht? Ich weiß es nicht, aber sie erkannte mich. Sie schaute mir ins Gesicht, und sie schaute nicht weg.

Der Himmel wurde äschern, und wir beide setzten unseren Weg fort. Wir beide schauten zu, wie der Junge in seinen Werkzeugkasten griff und zwischen ein paar Bilderrahmen herumkramte, um dann ein kleines, gelbliches Stofftier herauszuziehen.

Vorsichtig kletterte er zu dem sterbenden Mann.

Er setzte den lächelnden Teddybären behutsam auf die Schulter des Piloten. Die Spitze des Plüschohrs berührte seine Kehle.

Der sterbende Mann atmete ein. Er sprach. Auf Englisch sagte er:»Thank you.«Danke. Die kerzengeraden Schnitte öffneten sich, während er sprach, und ein kleiner Blutstropfen rollte ihm schräg über die Kehle.

»Was?«, fragte Rudi.»Was haben Sie gesagt?«

Unglücklicherweise war ich schneller als er. Die Zeit war gekommen, und ich griff in das Cockpit hinein. Langsam zog ich die Seele des Piloten aus der zerknitterten Uniform und rettete sie aus dem Flugzeugwrack. Die Menge spielte mit der Stille, während ich mich hindurchdrängte. Ich kämpfte mich frei.

Über mir verfinsterte sich der Himmel - ein letzter Moment Dunkelheit -, und ich hätte schwören können, dass ich da oben ein schwarzes Zeichen in Form eines Hakenkreuzes erkennen konnte. Es hing schief und schien zu trödeln.

»Heil Hitler«, sagte ich, aber da war ich schon zwischen den Bäumen. Hinter mir hockte ein Teddy auf der Schulter einer Leiche. Eine Kerze mit zitronengelber Flamme stand zwischen den Zweigen. Die Seele des Piloten lag in meinen Armen.

Wahrscheinlich hat in all den Jahren von Hitlers Herrschaft dem Führer niemand treuer gedient als ich. Ein menschliches Herz ist nicht wie das meine beschaffen. Das menschliche Herz folgt einer Geraden, während meines Kreise zieht und ich daher immerwährend zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein kann. Entsprechend erlebe ich auch die Menschen in ihrem besten und in ihrem schlechtesten Licht. Ich sehe ihre Hässlichkeit und ihre Schönheit, und ich frage mich, wie ein und dieselbe Sache beides zugleich sein kann. Doch um eines beneide ich sie: Menschen haben wenigstens so viel Verstand, um zu sterben.

HEIMKEHR

Es war die Zeit von Blutern und Flugzeugwracks und Teddybären, aber das erste Quartal des Jahres 1943 endete für die Bücherdiebin dennoch mit einem Lächeln.

Anfang April wurde Hans Hubermanns Gips verkürzt, bis lediglich oberhalb des Knies, und er stieg in den Zug nach München. Eine Woche lang durfte er sich zu Hause erholen, und dann sollte er sich den Bürohengsten der Wehrmacht in München anschließen. Er würde die Papierarbeit über die Aufräumarbeiten in den Münchener Fabriken, Häusern, Kirchen und Hospitälern erledigen. Die Zeit würde zeigen, ob er später wieder hinausgeschickt würde, um selbst Hand anzulegen. Das hing von seinem Bein ab und vom Zustand der Stadt.

Bei seiner Heimkehr war es dunkel. Er kam einen Tag später als erwartet, weil der Zug von einem Luftangriff aufgehalten worden war. Er stand vor der Tür von Nummer 33 in der Himmelstraße und ballte die Hand zur Faust.

Vier Jahre zuvor hatte er Liesel in Empfang genommen und durch diese Tür gelockt. Max Vandenburg hatte gestanden, wo er jetzt stand, mit einem Schlüssel, der ihm in die Hand biss. Jetzt war Hans Hubermann an der Reihe. Er klopfte vier Mal, und die Bücherdiebin öffnete.

»Papa. Papa.«

Sie sagte es wohl hundert Mal, während sie ihn in der Küche umarmte und nicht mehr loslassen wollte.

Später, nachdem sie gegessen hatten, saßen sie bis in die Nacht hinein am Küchentisch, und Hans erzählte seiner Frau und Liesel Meminger alles. Er erklärte ihnen die Aufgaben der LSE, berichtete von den raucherfüllten Straßen und den beklagenswerten, verlorenen, umherirrenden Seelen. Und von Reinhold Zucker, dem armen, dummen Reinhold Zucker. Es dauerte Stunden.

Um ein Uhr morgens ging Liesel ins Bett, und Papa kam und setzte sich zu ihr, wie früher. Sie wachte mehrmals auf, um nachzusehen, ob er noch da war, und er enttäuschte sie nicht.

Die Nacht war still.

Ihr Bett war warm und weich, voller Zufriedenheit.

Ja, es war eine herrliche Nacht für Liesel Meminger, und die Stille, die Wärme und die Weichheit sollten noch etwa drei Monate lang anhalten.

Aber ihre Geschichte reichte für sechs.

TEIL 10

DIE BÜCHERDIEBIN

Es wirken mit: der Weltuntergang - der achtundneunzigste Tag - ein Kriegstreiber - die Wege der Worte - ein katatonisches Mädchen - Bekenntnisse - Ilsa Hermanns kleines schwarzes Buch - Flugzeugbäuche - und ein Berg aus Schutt

DER WELTUNTERGANG (Teil 1)

Wieder gestatte ich euch einen Blick auf das Ende. Vielleicht um den Schlag zu mindern, vielleicht auch um mir selbst das Erzählen leichter zu machen. Wie auch immer, ich muss euch sagen, dass es in der Himmelstraße regnete, als für Liesel Meminger die Welt unterging.

Der Himmel tropfte.

Wie ein Wasserhahn, den sich ein Kind bemüht hatte zuzudrehen, es aber nicht ganz geschafft hatte. Die ersten Tropfen waren kühl. Ich fühlte sie auf meinen Händen, als ich vor Frau Lindners Eckladen stand.

Über mir konnte ich sie hören.

In dem trüben Himmel sah ich die blechernen Flugzeuge. Ich sah, wie sich ihre Bäuche öffneten und die Bomben gleichmütig herausfielen. Sie waren weit von ihrem eigentlichen Ziel entfernt, wie so oft.

EINE TRAURIGE, HOFFNUNGSVOLLE ÜBERLEGUNG

Niemand wollte die Himmelstraße bombardieren. Niemand würde eine Straße bombardieren wollen, die nach dem Himmel benannt ist, oder? Oder?

Die Bomben regneten herab, und kurz darauf kochten die Wolken, und die kalten Regentropfen verwandelten sich in Asche. Wie Schneeflocken segelten sie hernieder.

Die Himmelstraße wurde dem Erdboden gleichgemacht.

Häuser wurden von einer Seite der Straße zur anderen geschoben. Das gerahmte Bild eines ernst blickenden Führers wurde auf den zerstörten Boden geschmettert. Und doch lächelte er, auf jene ernsthafte Weise. Er wusste etwas, was wir anderen nicht wussten. Und ich wusste etwas, was er nicht wusste. All das, während die Menschen schliefen.

Rudi Steiner schlief. Mama und Papa schliefen. Frau Holzinger, Frau Lindner, Tommi Müller. Alle schliefen. Alle starben.

Nur ein Mensch überlebte.

Sie überlebte, weil sie im Keller saß und die Geschichte ihres eigenen Lebens las und sie auf Fehler überprüfte. Vor einiger Zeit hatte man diesen Raum als zu niedrig erklärt, aber in dieser Nacht, in der Nacht des 7. Oktober, reichte er aus. Die Hüllen der Zerstörung stürzten zusammen, und Stunden später, nachdem sich eine seltsame, ungepflegte Stille auf Molching niedergelassen hatte, konnten die Männer der LSE etwas hören. Ein Echo. Da unten, irgendwo, hämmerte ein Mädchen mit einem Bleistift gegen eine Farbdose.

Alle hielten inne, mit gespitzten Ohren und gekrümmten Rücken, und als sie es wieder hörten, fingen sie an zu graben.

GEGENSTÄNDE, DIE VON HAND ZU HAND GEREICHT WURDEN

Zementbrocken und Dachziegel. Ein Stück Wand, auf die eine baumelnde Sonne gemalt worden war.

Ein unglücklich wirkendes Akkordeon, das aus seinem zerbrochenen Kasten spähte.

Alles wurde hinaufgeworfen.

Als ein weiteres Stück Hauswand beiseitegeräumt war, sah einer der Männer die Haare der Bücherdiebin.

Der Mann hatte so ein nettes Lachen. Er verkündete die Geburt eines Kindes.»Ich kann's nicht glauben - sie lebt!«

Zwischen den durcheinanderlaufenden und schreienden Männern herrschte eine solche Freude. Ich konnte ihre Begeisterung nicht recht teilen.



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