Papa setzte sich und las den Brief noch einmal. 


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Papa setzte sich und las den Brief noch einmal.



Er wurde nicht wegen Verrats angeklagt oder weil er einem Juden geholfen hatte. Nichts dergleichen. Hans Hubermann wurde belohnt, so wenigstens würden es manche betrachten. Wie war das möglich?

»Da steckt etwas dahinter.«

Richtig.

Am Freitag kam der Bescheid, dass Hans Hubermann der Deutschen Wehrmacht beizutreten habe. Als Mitglied der Partei sei er sicher gerne bereit, seinen Anteil zum Gelingen des Krieges beizutragen, so schloss der Brief. Wenn nicht, würde das Konsequenzen nach sich ziehen.

Liesel war gerade von ihrer Lesestunde bei Frau Holzinger zurückgekehrt. In der Küche hingen schwer der Suppendampf und die leeren Gesichter von Hans und Rosa Hubermann. Pape saß. Mama stand hinter ihm. Die Suppe brannte an.

»Gott, bitte, nicht nach Russland«, sagte Papa.

»Mama, die Suppe brennt an.«

»Was?«

Liesel eilte durch die Küche und nahm den Topf vom Herd.»Die Suppe.«Nachdem sie das Essen glücklich gerettet hatte, drehte sie sich um und schaute ihre Pflegeeltern an. Gesichter wie Geisterstädte.

»Papa, was ist los?«

Er reichte ihr den Brief, und ihre Hände fingen an zu zittern, während sie ihn las. Die Worte waren gewaltsam ins Papier getippt worden.

WAS SICH IN LIESEL MEMINGERS VORSTELLUNG ABSPIELTE

In der erschütterten Küche, ganz in der Nähe des Herds, entsteht das Bild einer einsamen, überarbeiteten Schreibmaschine. Die Buchstaben auf den Tasten sind abgenutzt, und ein leeres Blatt Papier wartet aufrecht in einer angemessenen Haltung. Es schwankt leicht in der Brise, die durch das Fenster hineinzieht. Die Kaffeepause ist fast vorbei. Ein Stapel Papier von der Größe eines Menschen steht lässig neben der Tür. Vielleicht raucht er.

In Wahrheit sah Liesel die Schreibmaschine erst später vor sich, als sie darüber schrieb. Sie fragte sich, wie viele gleichlautende Briefe als Bestrafung an deutsche Hans Hubermanns und Alex Steiners geschickt worden waren - an jene, die den Hilflosen halfen und sich weigerten, ihre Kinder herzugeben.

Es war ein Zeichen für die wachsende Verzweiflung der deutschen Wehrmacht.

In Russland erlitten sie Niederlagen.

Deutsche Städte wurden zerbombt.

Mehr Menschen wurden gebraucht, genauso wie Mittel und Wege, an sie heranzukommen, und in den meisten Fällen übertrug man die schlimmsten Aufgaben den schlimmsten Unruhestiftern.

Während ihre Augen über das Papier flogen, konnte Liesel durch die eingedrückten Buchstabenlöcher die Holzplatte des Küchentischs sehen. Wörter wie Pflicht und Ehre waren in die Seite gehämmert. Speichel floss. Das Verlangen, sich zu übergeben.»Was ist das?«

Papas Antwort war leise.»Ich dachte, ich hätte dich Lesen gelehrt, mein Mädchen.«Er sprach ohne Wut oder Sarkasmus. Es war die Stimme der Leere, die zu seinem Gesicht passte.

Liesel schaute jetzt Mama an.

Rosa hatte einen kleinen Riss unter ihrem rechten Auge, und innerhalb einer Minute durchzog er ihr Pappgesicht. Nicht bis zur Mitte, nur auf der rechten Seite. Er bohrte sich in einem Bogen die Wange hinab bis zum Kinn.

ZWANZIG MINUTEN SPÄTER: EIN MÄDCHEN AUF DER HIMMELSTRASSE

Sie schaut hoch. Sie spricht flüsternd.»Der Himmel ist heute so weich, Max. Die Wolken sind weich und traurig, und...«Sie wendet den Blick ab und verschränkt die Arme. Sie denkt an ihren Papa, der in den Krieg zieht, und packt rechts und links des Körpers ihre Jacke.»Und es ist kalt, Max. Es ist so kalt...«

Fünf Tage später, als sie wieder einmal nach dem Wetter schaute, bekam sie keine Möglichkeit, in den Himmel zu blicken.

Nebenan saß Barbara Steiner mit ordentlich gekämmtem Haar auf der Treppe. Sie rauchte eine Zigarette und zitterte. Liesel wollte zu ihr gehen, als Kurt aus dem Haus kam und sich zu seiner Mutter setzte.

Sein Blick fiel auf das Mädchen.

»Setz dich her, Liesel. Rudi kommt gleich.«

Nach kurzem Zögern ging Liesel auf das Haus der Steiners zu.

Barbara rauchte.

Eine zerknüllte Aschefalte baumelte am Ende der Zigarette. Kurt nahm sie, klopfte die Asche ab und gab sie zurück.

Kurze Zeit später drücke Rudis Mutter die Zigarette aus und schaute auf. Sie strich mit der Hand über die ordentlichen Linien ihres Haars.

»Unser Papa geht auch«, sagte Kurt. Stille.

Eine Gruppe Kinder spielte in der Nähe von Frau Lindners Eckladen Ball.

»Wenn sie kommen und eines von deinen Kindern holen wollen«, sagte niemand Bestimmtem,»dann wird erwartet, dass man Ja sagt.«

DIE FRAU EINES MANNES, DER SEIN VERSPRECHEN HÄLT IM KELLER, NEUN UHR MORGENS

Noch sechs Stunden bis zum Abschied:»Ich habe auf einem Akkordeon gespielt, Liesel. Es gehörte jemand anderem.«Er schloss die Augen.»Das war der Anfang vom Ende.«

Das Glas Champagner im letzten Sommer nicht mitgerechnet, hatte Hans Hubermann seit etwa zehn Jahren keinen Alkohol mehr angerührt. Dann kam die Nacht, bevor er seine Ausbildung bei der Wehrmacht antreten musste.

Er ging am Nachmittag mit Alex Steiner in den»Knoller«und blieb bis zum späten Abend dort. Beide Männer missachteten die Warnung ihrer Ehefrauen und betranken sich bis zum Umfallen, nicht zuletzt, weil Dieter Westheimer, der Wirt vom»Knoller«, ihnen eine Runde nach der anderen ausgab.

Als er noch nüchtern war, wurde Hans gebeten, auf die Bühne zu gehen und Akkordeon zu spielen. Passenderweise spielte er»Das Lied vom traurigen Sonntag«, die berühmte ungarische Selbstmordhymne, und obwohl er all die Traurigkeit heraufbeschwor, die die Melodie mit sich brachte, war es trotzdem ein voller Erfolg. Liesel stellte sich die Szene in Bild und Ton vor. Münder waren voll. Leere Biergläser waren mit Schaum bestreift. Die Blasebälge seufzten, und das Lied war vorbei. Menschen klatschten. Die biergefüllten Münder begleiteten ihn jubelnd zurück zur Theke.

Nachdem er den Weg nach Hause gefunden hatte, gelang es Hans nicht, den Schlüssel ins Schlüsselloch zu stecken. Und so klopfte er. Mehrmals.

»Rosa!«

Es war die falsche Tür.

Frau Holzinger war nicht begeistert.

»Du Schwein! Du klopfst ans falsche Haus!«Sie rammte die Worte durch das Schlüsselloch.»Nebenan, du dämlicher Saukerl.«

»Danke, Frau Holzinger.«

»Du kannst mich mal, du Arschloch.«

»Wie bitte?«

»Geh heim!«

»Danke, Frau Holzinger.

»Habe ich dir nicht gerade gesagt, was du mich kannst?«»Haben Sie?«

(So jedenfalls rekonstruierte Liesel später das Gespräch, anhand dessen, was Papa ihr später, nachdem er wieder nüchtern geworden war, erzählte, und anhand ihrer eigenen Erfahrungen mit der übellaunigen Frau.)

»Mach, dass du wegkommst!«

Als er endlich heimkam, ging Papa nicht ins Bett, sondern zu Liesel. Betrunken stand er im Türrahmen und schaute zu, wie sie schlief. Sie wachte auf und dachte sofort, dass er Max wäre.

»Bist du das?«, fragte sie.

»Nein«, sagte er. Er wusste genau, was sie vermutete.»Ich bin's. Papa.«Er zog sich zurück, und sie hörte seine Schritte hinunter in den Keller. Im Wohnzimmer schnarchte Rosa aus Leibeskräften.

Kurz vor neun Uhr am nächsten Morgen befahl Rosa Liesel in der Küche:»Gib mir mal den Eimer da.«

Rosa füllte ihn mit kaltem Wasser und ging damit in den Keller. Liesel folgte ihr in dem vergeblichen Versuch, sie aufzuhalten.»Mama, das kannst du nicht machen!«

»Ach nein?«Sie drehte sich kurz auf den Stufen um.»Ist mir da etwas entgangen, Saumensch? Seit wann gibst du hier die Befehle?«

Beide schwiegen.

Das Mädchen gab keine Antwort.

»Das dachte ich mir.«

Sie gingen weiter und fanden ihn im hintersten Winkel, auf einem Bett aus Lumpen und Tüchern. Er glaubte, er sei es nicht wert, auf Max' Matratze zu schlafen.

»Jetzt schauen wir mal«, und Rosa hob den Eimer an,»ob er noch lebt.«

»Jesus, Maria und Josef!«

Der Wasserfleck war oval und zog sich von seiner Brust bis hinauf zu seinem Kopf. Sein Haar klebte an einer Seite seines Schädels, und sogar von seinen Wimpern tropfte das Nass.»Was soll das denn?«

»Du alter Säufer!«

»Jesus...«

Der Dampf, der aus seiner Kleidung aufstieg, sah beinahe unheimlich aus. Der Kater war nicht zu übersehen. Er hockte auf seinen Schultern wie ein nasser Zementsack.

Rosa ließ den Eimer von einer in die andere Hand gleiten.»Du hast Glück, dass du in den Krieg ziehst«, sagte sie. Sie hob die offene Hand hoch und scheute sich nicht, sie drohend zu schwenken.»Ansonsten würde ich dich eigenhändig umbringen, das ist dir doch wohl klar, oder?«



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