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Tendenzen im Bereich der Wortbildung, Morphologie und Syntax

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Wortbildung. Für die Wortbildung sind bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten kennzeichnend.

 

1. Zusammensetzung. Als Haupttendenz im Bereich der deutschen Wortbildung kann die Verstärkung der Univerbierung angese­hen werden, d.h. die Tendenz, Wortgruppen zu einem Wort zusammenzufassen. Dabei ist die Tendenz zu immer längeren Komposita und zu Verkürzun­gen zu beobachten. Überlange substantivische Bildungen (so genannte Blockbildungen) sind besonders in der Sprache der Verwaltung, Technik und Wirtschaft beliebt: Wohnraummodernisierungsgesetz, Arbeiterwohnungsbaugenossen­schaft, Eisenbahntransportfacharbeiter, warmwasserfußbodenbeheizungsgeeignet u. a. m.

In der Schreibweise tritt zugleich verstärkt der Durchkopplungsbindestrich mit „und" auf: Kohle-und-Energie-Programm, Kranken­versicherungs- und Neuordnungsgesetz, daneben auch ohne „und“.

Einen produktiven Wortbildungstyp bei adjektivischen Zusammenset­zungen stellen Verbindungen von Substantiven mit Parti­zip I und II dar: friedliebend, erholungsuchend (auch: Erholung su­chend), computergestützt, zweckentfremdet.

Verben bilden unter dem Einfluss der Fachsprachen häufiger „(Pseudo-) Verbzusammensetzungen" (s. Polenz, 1999,368): bergwan­dern, schutzimpfen, windsurfen, mondlanden, notlanden, zweckentfremden.

Verbreitet sind Neuschöpfungen von Adjektiven, die zur Bezeichnung von Qualität und Relation dienen: kalorienarm (Nahrung), umwelt­freundlich und -feindlich, schaulustig, lernschwach (Schüler), hilfsbedürftig, entwicklungsfähig (Fachkraft). Die zweiten Komponenten solcher Wörter sind Halbsuffixe/Suffixoide (wie -arm) oder auf dem Wege zu dieser Funktion (wie -fähig, -freundlich). Die nach diesem Modell gebildeten Adjektive stellen eine Übergangsgruppe von Zusammensetzungen zu Ableitungen dar.

2. Ableitung. Im Bereich der adjektivischen Ableitungen nimmt die Bildungsweise mit

- mäßig zu: gesetzmäßig, rechtmäßig, planmäßig u.a.m.

Es ist auch der Übergang vom freien zum gebundenen Morphem und damit zur Reihenbildung zu beobachten bei -los, -arm, -reich, -voll, -trächtig u. a. Produktive verbale Ableitungsmittel sind die Präfixe bе-, er-, ent-, ver-, zer-, die nicht selten der Verdeutlichung der Verbinhalte und der Ausdrucksverstärkung dienen: bespielen, bebildern, bestuhlen, entbeinen, entkorken, verbeamten, zergehen u. a. m.

3. Kurzwortbildung. Es entstehen solche Typen von Abbreviatu­ren wie Buchstabenabkürzungen (TV, EU), Kontrakturen (укорочение) (Kopf- und Schwanzwörter sowie Klammerformen), Übergangstyp (UN-Truppen).

 

Morphologie. In der Morphologie der Substantive ist der Umbau im Kasussystem zu beobachten. Er äußert sich im Kasussynkretismus sowie im weiteren Vordringen der präpositionalen Kasus gegenüber den reinen Kasus. Es ist der Schwund des Genitiv-s und des Dativ-e zu verzeichnen: 1) die Geschichte des Barock, die Neuauflage des Duden; die schönen Tage des Juli; bei Substantivierungen und geografischen Namen: die Überwin­dung des Ich (daneben: des Ichs), das Auftreten ihres Gegenüber, das Abwä­gen des Für und Wider; die Einwohner des Libanon, in den Bergen des Bal­kan, die jungen Staaten des heutigen Afrika; ein Vertreter des Vatikan; 2) ein Buch mit dem wesentlichen Inhalte, im Senate — das war üblich im 18. Jh. Eine Verlagerung auf Artikel und Adjektiv geht vor sich: einen rosanen (sic!) Teddybär _; Attentat auf den Präsident_. Der präpositionale Kasus wird bevorzugt: j-m etw. liefern - etw. anj-n liefern.

Bei der Adjektivflexion weisen sich folgende Veränderungen auf:

· die zunehmende Verwendung der schwachen Flexion: trotz der zahlreichen Mängel für: trotz zahlreicher Mängel.

· Die Doppelung der Adjektive in attributiver Funktion bewirkt den Schwund des Dativ-m bei der starken Deklination; früher: mit tiefgefühl­tem herzlichem Dank, heute — ein Kind mit frischem roten Gesicht.

Die starken Verben sind generell im Rückgang begriffen. Sie sind nicht mehr produktiv. Alle neuen Verben sind schwach. Beim Übergang in die schwache Konjugation lassen sich verschiedene Entwicklungs­stufen feststellen (s. Schmidt, 2000, 179-180):

a) Neue verbale Bildungen folgen dem Muster der schwachen Konjugation: beschallen, bestuhlen, entölen, filmen, funken, landen, radeln, röntgen, recyceln, chatten, parken, tanken, surfen, mailen etc.

b) Beim Übergang starker Verben in die schwache Konjugation sind zu unterscheiden:

Verben, bei denen der Übergang abgeschlossen ist, vgl. rächen: „Der fromme Dichter wird gerochen“ (Schiller), bellen;

Verben, die sich mitten in dem Prozess befinden: schaffen — schuf/ schaffte — geschaffen/geschafft (semantische Differenzierung); hängen — hing/hängte — gehangen/gehängt. Präteritale Formen bei starken Verben werden durch schwache Formen ersetzt: backenbackte (älter: buk) — gebacken; melkenmolk/melkte (heute üblicher) — gemolken /gemelkt; saugen —sog/saugte (in der Technik) —gesogen /gesaugt (vgl. fragen —frag­te, früher: frug).

c) Mit diesen Wandlungen wird eine Vereinfachung im Paradigma erzielt. Das trifft auch auf die Impera­tiv-Formen zu, die noch nicht standardsprachlich wurden: *lese, nehme, spreche, werfe“. Das ist mit dem Einfluss der Umgangssprache verbunden, z.B.: *sprech deutlicher!; *werf den Ball rüber.

Recht aktiv ist die Tendenz der Ausbreitung verbaler ana­lytischer Sprachformen auf Kosten der syntheti­schen: er ist am Arbeiten, er tut arbeiten, sein Ansehen ist im Wachsen, er bekommt es geschickt, er erhält es ausgehändigt, er kriegt es gesagt, siehat es geschenkt gekriegt / bekommen.

Da der Konjunktiv im Allgemeinen allmählich durch andere Aus­drucksmöglichkeiten ersetzt wird, hängt seine Gebräuchlichkeit von der Funktion und von konkreten Formen ab. Solche Formen wie hätte, wäre, käme sind immer noch aktuell, solche wie böge, flöge, hülfe sind selten anzutreffen, in der mündlichen Kommunikation kommen sie nicht mehr vor. Bei indirekter Rede und in Nebensätzen ermöglicht es der Konjunk­tiv, den Standpunkt des Sprechers differenziert vorzutragen:

ich hörte, er ist krank

ich hörte, er sei krank (Distanz, ich weiß es nicht sicher)

ich hörte, er wäre krank (unglaubwürdige Aussage: er stellt sich nur so).

Syntax

Im Bereich der Syntax ist auf die allgemeine Tendenz zur Verkürzung der S ä t z e hinzuweisen. Gegenwartssprachlichen Sät­zen mit durchschnittlich 14-18 Wörtern (populärwissenschaftliche Tex­te), mit 5-13 Wörtern (journalistische Texte, Presse) und mit 10-11 Wörtern (Belletristik; Remarque — 10, Strittmatter — 8) stehen Sätze ge­genüber mit einer Durchschnittszahl von 24 Wörtern bei Lessing, 30 bei Goethe, 36 bei Heine.

Als Folge der oben genannten Tendenz ist ein zunehmender Trend zur Bevorzugung einfacher, leicht handhabbarer Satzmodelle deutlich. Nach P. Braun (s. Braun, 1998, 110) werden von insgesamt 31 mögli­chen Satzbauplänen nur die folgenden fünf häufig genutzt:

· Subj.+Präd. (+Akk.Obj.);

· Subj. + Präd. + Präpositionalobj.;

· Subj. + Präd. + Raumer­gänzung;

· Subj. + Präd. + Artergänzung.

Diesen Modellen entsprechen über 60 % aller Sätze.

Andererseits vollzieht sich der nominale Ausbau des einfachen Satzes, seine Erweiterung durch Attribute und Adverbien, z. B.: Sie begannen mit dem Studium der Methoden zur Feststellung von Verletzungen des Abkommens. Das Recht der Grundbesitzer auf Feststellung einer Baulinie an ihren zerstörten Grundstücken.

Die analytischen Tendenzen in der Syntax und der Lexik äußern sich in der zunehmenden Ausbreitung von Funktionsverbg e f ü g e n (entsemantisiertes Verb mit weiter Semantik + Verbalsubstan­tiv). Diese Konstruktionen zeigen zeitliche Abstufung, Veranlassung: das Fahrzeug kam sofort zum Stehen; er brachte sie zum Lachen; der neue Auto-Atlas kommt Ende Mai zur Auslieferung.

Die Verletzung und Sprengung der Rahmenkonstruktion breitet sich aus, es kommt zur Ausklammerung von Vergleichsglie­dern, Infinitiv- und Konjunktionalsätzen, Präpositionalgruppen: man muss den Kopf drehen wie ein Flamingo, um alles se­hen zu können; er fuhr ab, ohne den Freunden helfen zu können; ich bin nicht geboren für ein Leben der Bedürfnislosigkeit.

Infolge der analytischen Entwicklung kommt es auch zum Ersatz von Genitiv und Dativ durch präpositionale Grup­pe n: ein Mann von mittlerer Statur, das Auto von meinem Vater, j-m j an j-n etw. liefern.

Im Bereich der Konjunktionen vollzieht sich ein Wa n d e l im Ge­brauch von „weil“ und „trotzdem“. „Weil“ — ausgehend von der Umgangssprache — nimmt immer häufiger Hauptsatzposition ein (auch in öffentlicher Kom­munikation): Ich kann nicht pünktlich kom­men, weil ich habe den Zug verpasst. „Trotzdem“ findet sich zunehmend in subordinierender Funktion und konkurriert hier mit standardsprachlichem „obwohl“: Trotzdem ich den Zug verpasst habe, versuche ich pünktlich zu kommen. Die neue Tendenz in der Wortfolge (das finite Verb an zweiter Stelle) betrifft auch die Sätze mit den Konjunktionen „wäh­rend“ und „wobei“.

28. Лингвокультурология как междисциплинарная наука. Национально-культурная специфика немецкой лексики и фразеологии.

 

 

1. Linguokulturologie als interdisziplinäre Wissenschaft. Das Linguokulturem

Die moderne Linguistik ist anthropozentrisch orientiert. Das heißt, der Mensch und das Wechselverhältnis von Sprache und Ku1tur stehen im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Der Kul­turbegriff ist eines der wichtigsten Begriffe, ein Schlüsselwort.

Das Wort „Kultur“ ist mehrdeutig. In Fachkreisen sind über 400 Begriffsbestimmungen dieses Wortes bekannt. Für uns kommt vor allem die Grundbedeutung in frage. Im GWDS von G. Drosdowski heißt es:

a) (o. PL) Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leis­tungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwick­lung (eine weite Deutung), z.B. die menschliche K.;

b) Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem be­stimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen geisti­gen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen (eine engere Fassung des Begriffs), z.B. die abendländische, orientalische K.; die K. der Griechen, der Renaissance.

 

„Kultur“ ist vom lateinischen Verb colere abgeleitet, das zwei Bedeu­tungen besitzt: 1. pflegen, bebauen, bestellen (den Garten bestellen); 2. anbeten (поклоняться, боготворить, обожать, молиться).

Mit den Wechselbeziehungen von Sprache und Kultur befasst sich die Linguokulturwissenschaft (LK). Die LK bildete sich in Russland im letzten Jahrzehnt des 20. Jhs. heraus. An ihrem Werdegang beteiligten sich namhafte Sprach- und Kul­turforscher Ju. S. Stepanov, V. N. Telija, N. D. Arutjunova, V. V. Vorobjov, V. A. Maslova u.a. Dabei entwickelten sie weiter die bahnbrechenden (новаторские, открывающие новые пути) Ideen der russischen Wissenschaftler A. A. Potebnja, V V. Vinogradov, D. S. Lichacov, Ju. M. Lotman u.a.

Vergleichen wir drei Definitionen der Linguokulturwissenschaft:

1. Es ist eine komplexe Wissenschaftsdisziplin, die das Wechselwirken (die Interaktion) von Kultur und Sprache in ihrem Funktionieren untersucht und diesen Prozess als ganzheitliche Struktur von Entitäten (cущность) in der Einheit ihres sprachlichen und außersprachlichen (kulturellen) Ge­halts widerspiegelt (V. Vorobjov).

2. Die Linguokulturologie ist derjenige Bestandteil der Ethnolinguistik, der die Korrespondenz (Entsprechung) von Sprache und Kultur in ihrem synchronen Wechselwirken untersucht und be­schreibt (V. Telija).

3. Diese an der Schnittstelle von Linguistik und Kulturwissenschaft entstandene Disziplin, die zur Selbständigkeit tendiert, erforscht die in der Sprache widerspiegelten und festgehaltenen Kulturphänomene. Sie betrachtet historische und gegenwärtige sprachliche Fakten durch das Prisma der geistigen Kultur (V. Maslova).

Viele Begriffe der neuen Disziplin sind nicht eindeutig und nicht end­gültig definiert. Als Gegenstand der Linguokulturwissenschaft gilt die Erforschung und Beschreibung des sprachlichen Weltbildes,in dem sprachlich-kulturelle Informationen, Kulturkonzepte, Kulturphänomene in sprachlicher, verbaler Form wider­spiegelt und festgehalten sind.

Die Gesamtheit sprachlich-kultureller Informationen kann in Gestalt linguokulturologischer Felder dargestellt werden. Als Einheit eines Linguokulturfeldes wird ein Linguokulturem präsentiert, das als eine dialektische Einheit sprachlichen und außersprachlichen (gegen­ständlichen oder begrifflichen) Inhalts angesehen wird (s. Воробьёв, 1994, 31). Ein Linguokulturem verbindet Form (Zeichenkörper) und Inhalt (sprachliche Bedeutung und kulturellen Hintergrund, Assoziationskreis). Strukturmäßig können Linguokultureme verschiedenartig sein — in Form eines Lexems, einer Wortgruppe, eines Textes bzw. Diskurses (im russ.: соборность, русская идея, берёза als Symbol Russ­lands; Ordnung, Pünktlichkeit, deutsche Einheit, „Deutschlandlied“ als Hymne der BRD u. a. m.). Als Linguokultureme treten z. B. auf: verschie­dene Abfolge von Stockwerken, Etagen in Russland und Deutschland (Erdgeschoss, 1., 2.... Stock); Abzählen an den Fingern (die Deutschen beginnen mit dem Daumen, die Russen mit dem kleinen Finger); Notengebung an der Schule (eine Eins — «пятерка», «отлично») usw.

(((Der Kulturbegriff umfasst zwei Aspekte: materielle und geistige Kultur. (Cicero schrieb seinerzeit: So wie der Landmann sein Feld bebaut, so bestelle der Mensch auch die Äcker seines Geistes.) In diesem Zusammenhang betrachtet man Kultur und Zivilisation, die heute als „Antonyme“ gegenübergestellt werden (s. Hansen, 2000, 12). Unter Zivilisation versteht man dabei die durch den technischen und wissenschaft­lichen Fortschritt geschaffenen und verbesserten sozialen und materiellen Lebensbedingungen (s. GWDS. Bd. 6., 2946). Kultur und Zivilisation sind also zwei Hände der Menschheit. (Früher sagte man: China ist ein Land mit alter Kultur, aber geringer Zivilisation.)

Die Linguokulturwissenschaft legt mehr Wert auf die Kultur, weil die­se geistig, symbolhaft ist, während die Zivilisation materielle Grundlagen hat. Der Kultur gehören solche Gattungen an wie My­then, Folklore, Bräuche, Riten, Gewohnheiten, Traditionen, sie werden in Formen des alltäglichen und konventionellen Verhaltens, in sprachli­chen Äußerungen fixiert.)))

Die Hauptmethode der linguokulturwissenschaftlichen Forschung ist der konsequente Vergleich der Sprachen und Kulturen. In der amerikanischen und englischen Wissenschaft wird es cross-cultural studies genannt.



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