Die linguolandeskundliche Klassifikation der Lexik und Phraseologie 


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Die linguolandeskundliche Klassifikation der Lexik und Phraseologie



Aus linguolandeskundlicher Sicht lassen sich drei lexikalische Schichten unterscheiden:

1) äquivalenzlose (nichtäquivalente) Lexik;

2) Wörter mit national-kulturellem lexikalischen Hintergrund („Hintergrundlexik“ — фоновая лексика);

3) konnotativ markierte Lexik (s. Verescagin, Kostomarov).

I. Zur äquivalenzlosen Lexik der Sprache (L1) gehören die Wörter, die keine vollständigen oder partiellen Äquivalente im Lexikon der anderen Sprache (L2) haben. Das heißt nicht, dass diese Wörter, Wendungen nicht übersetzbar sind, denn die betreffenden Begriffe werden durch Umschreibun­gen, grammatische Konstruktionen oder direkte Entlehnungen ausge­drückt.

Äquivalenzlose Wörter sind geografische Namen, Namen von Institu­tionen und Organisationen, Bezeichnungen von Realien, d. h. politische, wirtschaftliche, historische, gesellschaftliche Sachverhalte. (Realien sind einmal Gegenstände und Erscheinungen selbst, die in kultureller Hinsicht relevant, bedeutsam sind, zum anderen sind es entsprechende Namen und Benennungen als sprachliche Zeichen. Sie sind unmittelbar ver­bunden mit Geschichte, Kultur, Wirtschaft, Sitten und Bräuchen, mit dem Alltagsleben des Landes.)

Eine Reihe von Realienbegriffen aus der BRD von heute und gestern:

Bundestag, Bundeskanzler, Bundesland, die neuen Bundesländer, Bundesbürger (Ossi, Wessi), Bundeswehr, Gastarbeiter, Wirtschaftswunder, Wende; Realien aus der DDR-Zeit (jetzt sind sie Historismen) – Jugendweihe (праздник совершеннолетия, 14 лет), Volkskammer, Thämann-Pionier, SED, FDJ, LPG u. a. Als Realien gelten solche Gegenstän­de der Kultur wie Nationalgerichte: Eisbein, Hackepeter, Kassler/Kasse­ler, Ochsenschwanzsuppe, Pfannkuchen, Plinsen, Stolle(n), strammer Max, Eintopf; Trachten: Lodenmantel, Dirndlkleid (баварское национ летнее платье) u. a.m.

Eine ganze Menge Realien bilden Namen von Städten, Ortschaften und Gegenden, Straßen und Plätzen, Theatern, Museen, Denkmälern, historischen Bauwerken und Kulturstätten, die oft Symbolcharakter ha­ben, da sie in ihrer Gesamtheit das „Deutschlandbild“ prägen:

das Brandenburger Tor (als Wahrzeichen Berlins und Symbol der deutschen Einheit), Unter den Linden, die Museumsinsel, Alex(anderplatz), Friedrichstadt­palast, Kurfürstendamm, „Berliner Ensemble“, Gedächtniskirche; die Dresdener Gemäldegalerie, der Zwinger, das „Blaue Wunder“ (Brücke über die Elbe); die Sächsische Schweiz; die Leipziger Messe, die Thomaskirche, das Gewandhaus(orchester), Deutschlands Tor zur Welt (Hamburg), deutsche Finanzmetropole (Frankfurt am Main), das grüne Herz Deutschlands (Thüringen).

Weltliche, kirchliche, religiöse Feste und Feiertage und entsprechen­de Sachverhalte liefern auch eine beträchtliche Anzahl von äquivalenzlo­sen Begriffen, die zur deutschen Lebensweise gehören:

Bergfest, n — Fest, das von einer Gemeinschaft veranstaltet wird, nachdem die Hälfte der gemeinsam zu verbringenden Zeitspanne vorüber ist; (половина срока): die Kursteilnehmer, Kinder im Ferienlager, Soldaten feierten B.; Mutter­ tag, m — öffentlicher Ehrentag für die Mütter, zweiter Sonntag im Mai; Okto­berfest, nоктябрьские народные гуляния (в Мюнхене).

In den meisten Fällen fehlen in der russischen Kultur und im Sprach­gebrauch entsprechende Denotate als Realien. Damit ist die Theo­rie von L a k u n e n (sprachlich-kulturellen Lücken) verbunden.

II. Die Wörter mit lexikalischem Hintergrund (фоновая лексика), die pragmatisches Hintergrundwissen über das Land der zu erlernenden Spra­che liefern, bilden die zweite Schicht der national-kulturell relevanten Lexik. „Hintergrundwissen“ ist eine Lehnübersetzung aus dem englischen backgroundknowledge. Diese zusätzlichen, aber wichtigen Kenntnisse sind in der signifikativen, begrifflichen Bedeutung des Wortes ent­halten. Träger des lexikalischen Hintergrundwis­sens sind nach E.Verescagin und V. Kostomarov national-kul­turelle semantische Teile (oder Seme, Bedeutungskomponenten), die den interlingualen (zwischensprachlichen) semantischen Elementen gegenü­bergestellt sind. Zwischensprachliche Äquivalente sind z. B. die Wörter: Holz-., Ziegel-, Hochhausдеревянный, кирпичный, высотный дом, zum Teil auch Fenster, Wand, Dach, aber solche russischen Wörter wie крыльцо, сени, порог sind national-kulturell markiert (weil emotional gefärbt). Übrigens sehen die Dächer in Europa (in Deutschland, Russ­land: Satteldach, Walmdach, Zeltdachдвухскатая, четырёхскатная, шатровая крыша) und in orientalischen Ländern (Flachdächer — плоские крыши) verschieden aus. Eine Lebenssituation, die in Ägypten oder Mit­telasien spielt, kann so beginnen: Die Kinder saßen und schliefen auf dem (flachen) Hausdach.

Im Fall der „Hintergrundlexik“ korrelieren zwar die Denotate (Ge­genstände, Erscheinungen) in verschiedenen Kulturen, doch sind sie nicht identisch (А =B) und rufen unterschiedliche Assoziationen hervor, die Missverständnisse und falsche Übersetzungen verursachen können.

Die festen Wortkomplexe учёная степень und „akademischer Grad“ haben bei „äußerer“ Äquivalenz einen unterschiedlichen Begriffsumfang (ihre Extension ist verschieden). In Deutschland bestehen drei akade­mische Grade: Diplomwissenschaftler (Diplomchemiker, Diplom-Ökonom u. a.), Doktor und Doktor sc./habil, im heutigen Russland und in der ehe­maligen UdSSR dagegen — nur zwei Grade: кандидат наук, доктор наук. Vom Kontext ausgehend, kann der Unterschied von kommunikati­ver Bedeutung sein. Die Äußerung „Seinen ersten akademischen Grad erlangte er mit 23 Jahren “ bedeutet nicht: *Он получил свою первую учёную степень в 23 года, die richtige Übersetzung ist: «B 23 года он закончил университет (получил диплом о высшем образовании)».

Die Wörter mit national-spezifischem lexikalischen Hintergrund sind durch verschiedene Assoziationen und Bedeutungsschattierungen gekenn­zeichnet. In ihrer denotativen Bedeutung stimmen аптека und „Apo­theke“ im Wesentlichen überein (=Verkaufs- und Herstellungsstelle für Arzneimittel). Während man im Russischen mit аптека, аптекарь die Vorstellungen von Genauigkeit und Sauberkeit verbindet (точно как в аптеке [на весах], взвешивать с аптекарской точностью, стаканы аптекарской чистоты), hat „Apotheke“ im Deutschen eine andere stabile Assoziation — (umg., scherzh.) „Geschäft mit hohen Preisen“: in dem Laden kaufe ich nicht mehr, das ist vielleicht eine A.; Apotheker, m — 2. (ugs. abwert.) Inhaber eines als teuer bekannten Geschäftes. Aber ländlich — sittlich! In den USA kann man in Apotheken Würstchen und Sandwiches, Schreibwaren und Briefmarken kaufen. Die Aufforderung Lauf in die Apotheke und be­sorge ein paar Briefmarken! wäre sinnlos für russische Leser/Hörer.

Bei der Übereinstimmung der Hauptbedeutungen воздух. — „Luft“ ha­ben diese Wörter entgegengesetzte Vergleichsassoziationen: ты нужен мне как воздух (ich brauche dich dringend) — er ist Luft für mich (existiert für mich nicht, ich kann ihn nicht brauchen). Im Unterschied zum Wort вода hat „Wasser“ eine Zusatzbedeutung, die im Russischen fehlt: 4. wässrige Flüssigkeit, die sich im Körper bildet: das W. (der Schweiß) lief ihm von der Stirn, W. in den Beinen haben (ноги отекают); W. lassen (verhüll.) — urinieren;j-m läuft das W. im Mund zusammen (у кого-л. слюнки текут) — j-d bekommt sogleich Appetit.

Zu sprachdidaktischen Zwecken kann man die „Hintergrundlexik“ sowie die äquivalenzlosen Wörter der gleichen Thematik in Form von semantischen, lexikalisch-phraseologischen Mikrofeldern oder „F r a m e s“ zusammentragen.

Das Mikrofeld „Hochzeit“ enthält solche äquivalenzlosen Elemente“ und Einheiten wie: Polterabend, m — Vorabend der Hochzeit, an dem nach altem Brauch vor der Tür Geschirr zerschlagen wird, dessen Scherben dem Brautpaar Glück brin­gen sollen (вечеринка накануне свадьбы; мальчишник, девичник); grüne (ei­gentliche) Hochzeit — Tag der Heirat; Myrtenkranz, m — Kranz aus Myrten für die jungfräuliche Braut; Ehegelöbnis, n; Abtanzen, n (der Braut den Kranz ab­tanzen); Hochzeitsjubiläen: papierene/baumwollene H. (ситцевая свадьба) nach dem ersten gemeinsam verlebten Jahr; hölzerne H. — 5 Jahre; zinnerne H. — 6 Jahre; kupferne H. — 7 Jahre (die Frau bekommt für ihre Verdienste einen Kupferpfennig); Rosenhochzeit — nach 10-Jahren-Zusammenleben, dabei er­folgt ein Abtanzen und es wird der Frau ein Kranz mit roten Rosen abgenom­men; gläserne H. — 15 Jahre; Porzellanhochzeit — 20 Jahre, die Eheleute be­kommen neues Geschirr zum Geschenk; silberne und goldene H. — 25 und 50 Jahre (sie werden auch in Russland gefeiert); Perlenhochzeit - 30 Jahre; Rubinhochzeit - 40 Jahre (mit Perlen und Rubinen als Geschenk); diamantene H. – 60 Jahre; eiserne H. - 65 Jahre; steinerne H. (Gnadenhochzeit) - 70 Jahre.

III. Die linguolandeskundliche Relevanz der konnotativ markierten Le­xik kommt in verschiedenen sprachlichen Erscheinungen zum Ausdruck. Dem politischen Ausdruck „Tauben und Falken“ entspricht das russische «голуби и ястребы», weil mit dem Wort сокол ausschließlich positive Vorstellungen verknüpft sind (im russischen Sprachbewusstsem ist «сокол» mutig, kühn, schön, verwegen: взвейтесь, соколы, орлами). Die im Deutschen üblichen Vorstellungsverknüpfungen wie das Schwein ->• -> Glück (Schwein haben); der (Ziegen) Bock, der Pferdefuß - der Teufel; das Kamel- die Dummheit, Beschränktheit (in der ägyptischen, arabischen Kultur ist es ein Sinnbild von Schönheit); ein Fisch im Wasser -» — > Gesundheit — sind fremd für das russische Sprachbewusstsein.

Auch der Gender-Aspekt, das grammatische Geschlecht der Wörter erweckt bei Deutschen und Russen verschiedene Vorstellungen. Für die Russen ist весна ein hübsches, rotwangiges, mit Blumenkranz geschmück­tes Mädchen. Für Deutsche ist der Frühling ein junger Mann: „ Willkommen, schöner Jüngling, du Wonne der Natur“. Den Tod versinnbildlicht der Sensenmann, der Schnitter (косарь) mit der Sense: der Sensenmann hielt reiche Ernte (poet.) = viele starben. Ein Synonym für смерть ist косая, als alte Frau (ein Gerippe) mit der Sense dargestellt.

Eine Differenzierung sprachlicher Einheiten mit national-kul­tureller Spezifik kann man auch im phraseologischen Subsystem der deutschen Sprache beobachten.

nach Kanossa gehen — eine schwerfallende, aber von der Situation geforder­te Selbsterniedrigung auf sich nehmen (nach der Reise des deutschen Kaisers Heinrich IV. nach der norditalienischen Burg Canossa zu Papst Gregor VII. im Jahre 1077; dazu einen Kanossagang (demütigenden Bußgang) antreten (идти с повинной, унижаться; встать на путь унижения); der Eiserne Kanzler — Beiname Otto von Bismarcks; das Dritte Reich — Deutschland während der na­tionalsozialistischen Herrschaft von 1933 bis 1.945; Berliner Mauer — von der DDR im Aug. 1961 in Berlin errichtete Mauer, die die Flucht der Bevölkerung in den Westen verhindern sollte, ein Symbol der Spaltung Deutschlands.

nach Adam Riese — genau gerechnet; das macht nach A. R. 15.35Euro (nach dem Rechenmeister Adam Riese (1492—1559), dem Autor der ersten Rechen­bücher in deutscher Sprache); frei nach Kniggeпо правилам хорошего тона, (разг.) как в лучших домах Филадельфии (nach A. Freiherrn von Knigge (1752 — 1796), der das erste Buch über korrekte Umgangsformen schrieb); keinen / nicht einen Deut (eigentl. = niederländische Kleinmünze) — gar nicht(s): keinen/nicht einen D. wert seinне стоить ни гроша, sich keinen D. umj-n kümmernникак не заботиться о ком-л; mit j-m Fraktur reden — deutlich, ja grob seine Mei­nung sagen — (фам.) объясниться начистоту, высказать свое мнение без обиняков (Fraktur. / (полигр.) готический, „немецкий“ шрифт, в отличие от латиницы: eigtl. j-m etw. in Frakturbuchstaben aufschreiben, die wegen ihrer Eckigkeit als derb und grob empfunden wurden); das ist ein Gedanke von Schiller — это блестящая идея.

einen Korb bekommen (= abgewiesen werden) — получить отказ (при уха­живании за девушкой). Die Redensart klärt sich aus der Sitte: wenn der Werber unwillkommen war, ließ ihm die Geliebte aus ihrem Fenster einen Korb mit ei­nem schwachen Boden herab, dass er, wenn er darin hinaufgezogen wurde, un­terwegs „durchfallen“ musste (davon kommt auch „in der Prüfung durchfal­len“); dazu auch: J-m einen Korb geben, sich einen Korb holen (= eine ablehnende Antwort, eine Abfuhr).

bei j-m [tief] in der Kreide stehen/sein/sitzen (ugs.) — bei j-m (viele) Schul­den haben — (много) задолжать кому-л. Die Redewendung geht auf das früher in Gasthäusern übliche „Ankreiden“ von Schulden zurück (dazu auch: auf Krei­de leben — (ugs.) auf Kredit leben).

den Stab über j-n brechen (geh) — j-n wegen seines Verhaltens völlig ver­urteilen und sich von ihm distanzieren — вынести кому-л. окончательный \ приговор, осудить кого-л.; (ист.) приговорить кого-л. к смерти. Das Idi­om ist im altgermanischen Recht verwurzelt. Nach alter Rechtssitte wurde über dem Haupt eines zum Tode Verurteilten vom Richter vor der Hinrich­tung der hölzerne Gerichtsstab in drei Teile zerbrochen und ihm mit den Worten vor die Füße geworfen: „Nun helf dir Gott, ich kann dir nicht mehr helfen“.

der Storch hat Tante Maria ins Bein gebissen (fam., scherzh., veraltend) — sie bekommt ein Kind / hat ein Kind bekommen (russ. его в капусте нашли, в магазине купили); bei Tante M. ist der Storch gewesen. Nach früherem Kinder­glauben war der Storch ein Vogel, der die kleinen Kinder bringt. Daher die be­kannten Ausdrücke.

Als Zwischenbilanz kann man Folgendes feststellen:

im Rahmen der interkultu­rellen Kommunikation stoßen wir auf Probleme und Schwierigkeiten. Sie sind mit der Differenz zwischen den Sprachgemeinschaften im Bestand (в фонде) des Weltwissens verbunden. Dieser Differenz liegen reale, objektive Unterschiede in der Geschichte, in der sozialen und politischen Organisa­tion, im Alltagsleben, in der materiellen Existenz und Produktion ei­ner Sprachgemeinschaft (einer Nation, Ethnie) gegenüber einer ande­ren.

 

 



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