Der Kaukasus als wiederkehrender Bezugspunkt in Puschkins Werk 


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Der Kaukasus als wiederkehrender Bezugspunkt in Puschkins Werk



 

Es war der russische Nationaldichter A.S. Puschkin, der den Kaukasus seit den 1820er Jahren in Rußland literarisch salonfähig machte. Zweimal, in den Jahren 1820 und 1829, unternahm Puschkin ausgedehnte Reisen, die ihn in den Nordkaukasus, nach Georgien und zuletzt bis in die vorderen Frontlinien des russisch-türkischen Krieges bei der nordostanatolischen Stadt Erzerum (Arzrum) führte. Der literarische Ertrag waren die 1822 in St. Petersburg erschienene romantische Verserzählung «Der Gefangene im Kaukasus» sowie eine unter dem Titel «Reise nach Arzrum» 1835 veröffentlichte Reisebeschreibung. Anklänge an das Kaukasus-Thema ziehen sich jedoch durch Puschkins gesamtes Werk — in Gedichten, wie etwa den berühmten Versen über das jenseits der Wolken schwebende «Kloster auf dem Kazbek», im «Märchen vom Goldenen Hahn», dem «Häuschen in Kolomna», in den Fragment gebliebenen Reisen des Eugen Onegin, die eine Station «an den Steilufem des Terek» einschließen, in dem nicht abgeschlossenen Poem «Tazit», im Entwurf für einen Roman in den nordkaukasischen Heilbädern, in Briefen sowie nicht zuletzt in mehreren Zeichnungen mit kaukasischen Motiven.

Dies alles belegt, daß sich Puschkin bis an das tragische Ende seines Lebens dem Eindruck seiner kaukasischen Erlebnisse nicht entziehen konnte. In seiner letzten Petersburger Wohnung an der Mojka nahmen zwei Kaukasus-Memorabilia, ein Säbel, Geschenk des russischen Kaukasus-Feldherrn General Paskevitsch, und ein Öl-Gemälde der Daijala-Schlucht, Ehrenplätze ein. Das kaukasische Thema war auch in seiner Redaktionsarbeit für den «Sovremennik» mehrfach präsent.

Bereits wiederholt sind Aspekte von Puschkins Kaukasus-Bild Gegenstand der Forschung gewesen; manches bleibt möglicherweise noch nachzutragen[115]. Welche nun sind die Komponenten dieses Bildes? Es ist vielschichtig, mit manchen Brechungen und Widersprüchen. Sicherlich haben darin grandiose Naturschilderungen auch ihren Platz. Dieses Motiv war in die russische Literatur erstmals durch Dichtungen Derzhavins und Zhukovskijs eingeführt worden. Beide Autoren hatten jedoch den Kaukasus mit eigenen Augen nie gesehen und erschufen sich ihre Kaukasus-Welt im Stile einer durch Nikolaj Karamsin Ende des 18. Jahrhunderts begründeten Alpen-Romantik.

Mit Puschkin setzt die autobiographische Linie der russischen Kaukasus-Literatur ein. Seine ersten Verse auf die «stolzen Gipfel des Kaukasus» dichtete er Ende Juni 1820 für den Epilog seines Poems «Ruslan und Ljudmila». Schon hier fällt eine ambivalente Beziehung zu der «wilden und mürrischen Natur» des Kaukasus ins Auge. Sie bildete einen Kontrapunkt zum damals vorherrschenden Zeitgeschmack der Naturschwärmerei für eine dramatische Gebirgswelt. Gleichsam entschuldigend spricht Puschkin davon, er habe vergleichsweise blasse Bilder entworfen. Die Naturschilderungen, die im «Gefangenen im Kaukasus» und in zwei Strophen der Reisen des Onegin danach folgen, sind ebenfalls in einer eher gedämpften Tonlage verfaßt. Mit Verwunderung ist festgestellt worden, daß die Kaukasus-Natur den gerade 21-Jährigen zu keinerlei größeren lyrischen Werken inspiriert habe[116].

Puschkin vermeidet Überschwang, übemimmt andererseits manches von seinen Vorgängern Derzhavin und Zhukovskij. Von der Großartigkeit der Natur des Kaukasus sind insbesondere Verse aus dem Prolog des «Gefangenen im Kaukasus» durchdrungen. Diese hat für ihn jedoch zugleich Aspekte der Düsternis, ja einer latenten Bedrohlichkeit. In dem Poem ist sie Folie für eine Handlung, in deren Mittelpunkt ein gequälter russischer Gefangener steht. Von poetischer Natur-Verklärung ist hier wenig zu spüren. Auch dem Bild des in der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts verehrten «edlen Wilden» kann Puschkin wenig Reiz abgewinnen. «Den wilden Tscherkessen sitzt der Schreck in den Gliedern», heißt es in einem Brief an den Bruder Lew vom 24.9.1820[117]. Noch deutlicher wird er in der «Reise nach Arzrum»: «Der Mord ist ihnen (i.e. den Tscherkessen) nur eine einfache Körperbewegung….Was soil man mit einem solchen Volk anfangen?»[118]. Entsprechend setzt sich in der «Arzrum»-Reisebeschreibung die Entzauberung der kaukasischen Natur fort, die für Puschkin zunehmend «fmsteren» Reiz ausstrahlt.

Man hat bezüglich der Kaukasus-Schilderungen in Puschkins Werk von der Schöpfung eines «russischen Orientalismus» gesprochen, parallel zu einer zu gleicher Zeit in westeuropäischen Literaturen gepflegten Manier, mit der das Gegenbild zu einer «verderbten» westeuropäischen Kultur entworfen werden sollte[119]. Für Puschkin spielte jedoch ein anderer Bezugspunkt eine wichtigere Rolle: für ihn war der Kaukasus in einem sehr konkreten zeitgeschichtlichen Sinn Schauplatz eines aktuellen Geschehens militärischer russischer Inbesitznahme, die er aus vollem Herzen begrüßte.

 



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