Selbstverwaltung von Wirtschaft und Kultur 


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Selbstverwaltung von Wirtschaft und Kultur



Das Reformprogramm Artur Mahrauns stand auch bezüglich der Neugestaltung von Wirtschaft und Kultur konsequenterweise unter den prägenden Grundsätzen: Überbrückung der Gegensätze, Betonung des Gemeinsamen, größtmögliche Selbstverwaltung. In seiner betonten Scheidung der drei Bereiche "Staat", "Wirtschaft" und "Kultur" und der Anerkennung der Eigenständigkeit zeigte er unverkennbare Anklänge an die seit 1919 entwickelte "Dreigliederungslehre" Rudolf Steiners, des ihm auch in manchen anderen Gedanken verwandten Begründers der Anthroposophie. Mahraun ging aus von der grundsätzlichen Unabhängigkeit sowohl des Wirtschafts- als auch des Geisteslebens von der Politik. Diese sollte zwar bezüglich der Wahrung des Gemeinwohls den Primat besitzen, nicht jedoch die beiden anderen Lebensformen in ihren spezifischen Funktionsbereichen bevormunden. Dementsprechend erkannte er ihnen prinzipiell Autonomie zu. Sie sollten sich in Kammern gegenüber dem Staat vertreten können. Die Rechte dieser Kammern sollten in der Verfassung besonders festgelegt sein. Die Formulierung ihrer Rechte hätte zu respektieren, daß kein Gesetz und keine Anordnung über irgendein Sondergebiet des Volkslebens ohne Genehmigung der hierfür zuständigen Kammer erlassen werden könne.

 

Speziell hinsichtlich der Wirtschaft vertrat Mahraun den Standpunkt strikter Trennung von Staat und Wirtschaft. Die Wirtschaft sei nicht in der Lage, die Rolle der "Souveränität" zu übernehmen. Ihr ganzes Wesen bestehe aus Gegensätzen, wie denen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen Arbeitern, Bauern und Bürgern. Wenn die Wirtschaft offen oder verschleiert die oberste Gewalt im Staat in den Händen halte, so werde jede Wirtschaftskrise zu einer Krise des Staates. Der


 

 

Staat habe vielmehr darüber zu wachen, daß der Austrag wirtschaftlicher Gegensätze sich im Rahmen des Gesamtwohls bewege... Im übrigen sei im Volksstaat die Wirtschaft auf eigene Füße gestellt. " Es kann nur eine Lösung geben, die Wirtschaft nach der eigenen Gesetzlichkeit und miteigener Verantwortung zu organisieren und dieses gesamte Organisationswerk in einer vollen, abersinngemäßen Gleichberechtigung neben das politische Organisationswerk zu stellen. Das bedeutetnicht mehr oder weniger, daß der neue Staatsbegriff eine reinliche Scheidung zwischen Wirtschaftund Politik, eine folgerichtige Doppelgliederung mit sich bringt ". Die Gliederung der Wirtschaft müsse ihrer Eigengesetzlichkeit entsprechen.

 

Die organische Vertretung der Wirtschaft sei die Wirtschaftskammer. Ihre Aufgabe sei es, das Leben der Wirtschaft im Einvernehmen mit der Führung des Staatsbürgertums in die richtige Bahn zu lenken. Die in der Wirtschaft Tätigen sollten über die vorhandenen wirtschaftlichen Interessenorganisationen ihre Vertreter in die Wirtschaftskammer wählen. Das Wahlgesetz hierfür müsse so beschaffen sein, daß eine Vergewaltigung der wirtschaftlich Schwachen durch die wirtschaftlich Starken ausgeschlossen sei.

Was das Verhältnis des Staates zur Kultur betrifft, so unterliegt nach Mahrauns Meinung jedes starre Staatswesen dem Fehler, die geistige Bewegung im Volke zu vernachlässigen. Ihr solle durch die Kulturkammer eine Möglichkeit zur Einwirkung auf die Entwicklung des Staates gegeben werden. Sie sei die staatliche Körperschaft zur Vertretung aller kulturellen Bewegungen innerhalb des Volkes. Wenn eine solche Bewegung einen von der Verfassung vorgeschriebenen Nachweis ihrer Stärke erbringen könne, so sei ihren Vertretern damit der Weg in die Kulturkammer eröffnet. Ihr Zweck sei es, die geistigen Regungen und Bewegungen im Volk stets in engster Verbindung mit dem Staat zu halten.

 

Entschieden lehnte Mahraun einen Aufbau des Staates nach "Ständen" - also etwa im Sinne des späteren österreichischen Ständestaates von 1934 oder der Lehre Othmar Spanns - ab. Dies ergab sich für ihn schon aus seiner Abneigung gegenüber einer Gliederung des Volkes nach "Kasten", "Ständen" und "Geld", aber, auch aus seiner grundsätzlich negierenden Haltung einer Praedominanz des Ökonomischen vor dem Politischen. Er äußerte sich zu dieser Frage auch noch ausdrücklich wie folgt:

Diese Methode (d. h. die "Wahl der politischen Repräsentanten des Volkes nach ständischen Gesichtspunkten) hat den Nachteil, daß die Stände und Berufe meist diejenigen als ihre Vertreter bezeichnen und auswählen, welche auf dem in Frage stehenden Spezialgebiet des Wissens Hervorragendes leisteten. Sie sind also wohl gute Mittelsleute auf ihrem Spezialgebiet, aber nicht ohne weiteres gute Mittelsleute für das gesamte politische Leben.

 

"Je mehr aber die wirtschaftliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts auf eine politische Trennung von Staat und Wirtschaft drängt, um so mehr tritt auch die Tatsache zutage, daß die grundlegende Gliederung der Nation nach ständischen Grundsätzen unmöglich wird. Eindeutig distanzierte er sich auch von einer diktatorischen Auswahl der "Volksvertreter": "Dieses System hat den Nachteil, daß es zur Unterdrückung des politischen Lebens im Volke führt. Das natürliche Endergebnis ist die Erziehung des Volkes zum Untertanentum und das Verkümmern des Staatsbürgertums".

 

Es kann also auch keine Rede davon sein, daß Mahrauns Zukunftsmodell etwa dem faschistischen "Korporatismus", wie er ab den zwanziger und dreißiger Jahren in Italien, Portugal und Spanien gepflegt wurde, entsprochen habe. Vielmehr wäre nichts verfehlter, als Mahraun wegen seiner Ablehnung des Parteiwesens in die Nähe diktatorischer Systeme zu rücken. Er verurteilte das Parteisystem gerade aus dem Grunde, weil es die Bürger zugunsten der Herrschaft der Parteiapparate politisch entrechte. Seine ganze Lehre sollte dazu dienen, die wahre Demokratie im Sinne der Herrschaft der Bürger selbst zu verwirklichen.


 

 

Hans-Peter Thietz

ehemaliger Abgeordneter der letzten, freigewählten DDR-Volkskammer und des Europa-Parlamentes



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