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Preise in anderen Fachbereichen



Da der Nobelpreis nur wenige Fachgebiete abdeckt, gibt es zahlreiche andere Preise, die in ihren jeweiligen Disziplinen von herausragender Bedeutung sind und damit eine ähnliche Rolle spielen wie der Nobelpreis.

Die folgenden Preise genießen eine solche Reputation:

■ Journalismus und Literatur: Pulitzer-Preis (nur USA)

■ Architektur: Pritzker-Preis

■ Mathematik: Fields-Medaille

■ Informatik: Turing Award

Preise mit indirektem Bezug zum Nobelpreis

Weiterhin gibt es einige Preise, die wie der Nobelpreis einen Bezug zu den am Nobelpreis beteiligten Institutionen bzw. zu den skandinavischen Ländern haben und deswegen in seine Nähe gerückt werden:

■Der Abelpreis wurde vom norwegischen Parlament, aus dessen Mitte auch das Komitee für den Friedensnobelpreis bestimmt wird, für Leistungen in der Mathematik gestiftet. Die Benennung der Preisträger übernimmt aber ein Komitee von Fachleuten. Im Gegensatz zur Fields-Medaille, welche nur für Leistungen vor Vollendung des 40. Lebensjahrs vergeben werden darf, gibt es beim Abelpreis keine Altersbeschränkung.

■ Der Polar Music Prize wird für Leistungen in der Musik vergeben und wird wie der Nobelpreis auch vom schwedischen König überreicht. Der Stifter Stikkan Anderson beauftragte die Königlich Schwedische Musikakademie mit der Vergabe, was auch eine Parallele zum Nobelpreis darstellt. da dieser mit Ausnahme der Kategorie Frieden auch von königlichen Akademien vergeben wird. Der Crafoord-Preis wird von der Königlichen Schwedischen Wissenschaftsakademie, die die Preisträger in Physik, Chemie und Wirtschaft bestimmt jährlich rotierend in den Disziplinen Mathematik, Geowissenschaften, Biologie und Astronomie vergeben. Der Preis ist als eine Ergänzung des Nobelpreises gedacht, um Fachgebiete zu fördern, die nicht von ihm abgedeckt werden.

■ The World's Children's Prize for the Rights of the Child wird manchmal als Kinder-Nobelpreis bezeichnet. Er wurde von der schwedischen Regierung gestiftet. Schirmherrin ist die schwedische Königin.

Asiatische Preise

Weiterhin gibt es einige in Asien verliehenen Preise, die dort ein dem Nobelpreis vergleichbares Ansehen genießen:

■ Der Ramon Magsaysay Award wird oft als der asiatische Friedensnobelpreis bezeichnet.

■ Der Japan-Preis ist ein Wissenschaftspreis mit sehr hohem Ansehen in Asien.

Siehe auch

■ Liste der Nobelpreisträger

■ Satirischer Ig-Nobelpreis

 

DIE UNGEKÜSSTE

Gustav Klimt in Kammer

Die Frage, wer für Leonardo da Vincis Mona Lisa Modell gestanden ist, beschäftigt seit Jahrhunderten die Fachleute. Die einen tippen auf diese, andere auf jene, die Liste wird immer länger, weist nicht nur Frauen-, sondern auch Männernamen auf - alles ist denkbar.

Bei Gustav Klimts»Kuß«haben es die Exegeten nur insofern leichter, als es in puncto Geschlecht keinerlei Zweifel gibt: Der Mann ist ein Mann und die Frau eine Frau. Was die Sache jedoch auch hier knifflig macht: Welche Frau? Es waren so viele, die den Weg des malenden Fauns aus Wien gekreuzt haben, und da wurden nicht nur Küsse getauscht. Als Gustav Klimt, bis ans Ende seiner Tage unverheiratet, am 6. Februar 1918 fünfundfünfzigjährig stirbt, ist von nicht weniger als vierzehn unehelicheftJCindern die Rede, und ein rundes Dutzend Frauen meldet bei der Verlassenschaftsabhandlung Erbansprüche an.

Auch angesichts der Frauengestalt auf Gustav Klimts Gemälde»Der Kuß«setzt ein lebhafter Wettstreit ein, und so manche der in Frage kommenden Schönen beschwört:

»Ich bin's!«

»Nein, ich!«ertönt's im Chor.

Das Gerangel wäre weniger heftig, handelte es sich beim»Kuß«nicht um Klimts populärstes Werk: Als das Bild 1908 bei der Wiener Kunstschau zum erstenmal der Öffentlichkeit gezeigt wird und im Jahr darauf - für den ansehnlichen Preis von 25.000 Gulden - in österreichischen Staatsbesitz übergeht, ist es noch unfertig. So groß ist das G'riß um das Jahrhundertwerk, das Millionen Kunstfreunden in der ganzen Welt - und heute vor allem den Italienern, bei denen in den sechziger Jahren eine wahre Klimtomania ausbricht - als die Inkarnation des Jugendstils schlechthin gilt. Da kann's nicht mit dem Aufhängen von Klimt-Kalendern, mit dem Sammeln von Klimt-Postern, mit dem Naschen aus Klimt-Bonbonnieren und mit der Verwendung von Klimt-Parfum sein Bewenden haben, da will man's genau wissen.

Die Lösung des Problems braucht ihre Zeit: Erst 1982 gelingt der Wiener Kunsthistorikerin Alice Strobl der Nachweis, daß der Meister des»Kusses«(der sein Werk übrigens»Liebespaar«nannte) bei der weiblichen Figur an seine langjährige Seelenfreundin Emilie Flöge und bei der männlichen an sich selbst gedacht hat. Neun Jahre nach dem»Kuß«nimmt er in einer kleinen Bleistiftskizze — und nun noch stilisierter - das Liebespaar-Motiv wieder auf und versieht das Blatt mit einer ornamentalen Schriftleiste, die unschwer als»Emile«zu entziffern ist. Zwei Schmuckstücke hat er für Emilie Flöge schon in früheren Jahren entworfen; die Skizze ist eine Vorstudie für ein drittes, eine Brosche. Doch das Projekt bleibt unausgeführt: Es ist Klimts letztes Lebensjahr.

Emilie Flöge selber, zu stolz, sich an der öffentlichen Diskussion um den»Kuß«und dessen biographische Bezüglichkeiten zu beteiligen, ist zu keiner persönlichen Auskunft zu bewegen - auch in den vierunddreißig Jahren nicht, die sie, die zwölf Jahre Jüngere, Gustav Klimt überlebt. Doch da sind Indizien, die für sich sprechen: Zeit ihres Lebens hat Emilie eine Reproduktion des»Kusses«über ihrem Bett hängen.

Die zweite Spur, die für Emilie Flöge als Modell spricht, hat mit dem Blumenteppich zu tun, auf dem das küssende Paar - er stehend, sie kniend - postiert ist: ein Indiz, das uns an den Attersee führt. Hier verbringen Gustav Klimt und Emilie Flöge zwischen 1900 und 1916 alljährlich in engster Nachbarschaft den Sommer, hier zeichnet und malt (und photographiert) er seine»liebste Midi«, und hier, in der Oleandervilla in Kammerl am Ortsrand von Schörfling, gibt er der Haushälterin Anweisung, sich mit besonderer Sorgfalt des Gartens anzunehmen und Beete voller hochroter Blumen anzulegen. Es sind dieselben Blumen, inmitten derer Emilie Flöge in lang wallenden Kleidern wieder und wieder für Klimt posiert. Und dieselben, die im Bildvordergrund des»Kusses«verewigt sind...

Hiermit könnten die Akten zum Fall»Kuß«geschlossen und die Diskussion um die Frage»Who is who?«beendet werden - wäre da nicht noch dieses heikle Kapitel Schein und Wirklichkeit, das die so emphatisch»Geküßte«als in Wahrheit Ungeküßte ausweist. Der Maler Klimt und der Liebhaber Klimt sind zwei verschiedene Personen: Wenn er seiner»ewigen Braut«Emilie Flöge in Zeiten des Getrenntseins bis zu acht Korrespondenzkarten"an einem Tag schreibt, so lesen sich diese dennoch nicht wie Liebesbriefe, sondern eher wie Wetterberichte. Die Küsse - die kassieren andere...

Gustav Klimt und Emilie Flöge kennen einander seit 1891: Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ernst und ihre drei Jahre ältere Schwester Helene gehen miteinander den Ehebund ein. Die beiden Familien sind von gleichem Stand: Klimts Vater ist Graveur, Vater Flöge Drechsler und Meerschaumpfeifenfabrikant. Klimts Beziehung zum Haus Flöge, wo er schon bald ein und aus geht, wird noch enger, als Emilies Bruder Hermann die Tochter des k.u.k. Hoftischlermeisters Friedrich Paulick heiratet: Die Paulicks haben eine Villa am Attersee, die in puncto Herrschaftlichkeit und kunsthandwerklicher Raffinesse weit und breit ihresgleichen sucht, und hier verbringen alle miteinander ab Sommer 1900 die warme Jahreszeit.

Auch Gustav Klimt ist auf den Seewalchener Prachtbesitz mit dem eigenen Bootshaus und dem eigenen Landungssteg eingeladen, und es gefällt ihm dort so gut, daß aus der geplanten einen Woche fünf werden. Da es aber für längere Aufenthalte bei so vielen Personen doch etwas eng wird in der Villa Paulick, sehen sich die Flöges samt ihrem Gast um ein anderes Quartier um. Sie finden es in nächster Nähe: Im Wohntrakt des Brauhofs Litzlberg werden Sommerwohnungen vermietet, und hier nistet man sich für die nächsten sieben Jahre ein. Erst, als der zunehmende Tourismus zu immer ärgerer Lärmbelästigung führt, wird eine abermalige Ubersiedlung fällig: Die sogenannte Oleandervilla in Kammerl ist genau das Retiro, das ein auf Abgeschiedenheit und Ungestörtheit erpichter Künstler wie Klimt für seine Arbeit braucht.

Die Damen - Emilie und ihre beiden älteren Schwestern Helene und Pauline Flöge sowie die seit 1897 verwitwete Mutter - lassen sich von Juni bis September am Attersee nieder; die Männer, die in Wien ihren Berufen nachgehen, stoßen später dazu und bleiben kürzer. Auch Klimt trifft meist erst Ende Juli ein.

Man unternimmt gemeinsame Bootsfahrten auf dem See, auch Landausflüge stehen auf dem Programm, die Mahlzeiten werden zusammen eingenommen. Da man mit dem kompletten Hausstand aus Wien übersiedelt, werkt auch die eigene Köchin am Herd. Die Ferienkleidung ist von der Mode geprägt, die die»Schwestern Flöge«(so der Name des von ihnen über dem Cafe»Casa piccola«, Mariahilfer Straße 1 b, betriebenen Haute-Couture-Salons) kreieren und mit beträchtlichem Erfolg unter die Leute bringen: Das reich ornamentierte Reformkleid im Stil der Wiener Werkstätte ist»in«. Klimt bevorzugt, hervorragend dazu passend, die weit und bodenlang geschnittene Tunika. Sportsmann, der er ist, führt er bei den gemeinsamen Kahnpartien das Ruder, auch mit dem Segel weiß er umzugehen, und als das Motorboot aufkommt, ist er einer der ersten, die sich der stolzen neuen Errungenschaft rühmen können. Bei einer Regatta auf dem Attersee stellt er sich als Schiedsrichter zur Verfügung.

Aber das wichtigste ist und bleibt für ihn natürlich das Malen - und das um so mehr, als er im Zuge seiner Salzkammergut-Aufenthalte einen neuen Gegenstand für seine Zeichnungen und Ölbilder entdeckt: die Landschaft. Der Meister der Allegorie - in Wien hat er das Stiegenhaus des neuen Burgtheaters, das Kunsthistorische Museum und das Musikzimmer im Palais Dumba ausgeschmückt, die von einer bornierten Professorenschaft befehdeten Deckengemälde für die Aula der Universität kauft er demonstrativ vom Kultusministerium zurück, jetzt arbeitet er an einem Fries für die von Freund Josef Hoffmann in Brüssel entworfene Villa des belgischen Stahlmagnaten Alphonse Stoclet - erkennt also auf einmal die besonderen Reize von Mohnfeldern und Buchenwäldern, von bunten Bauerngärten und stillen Weihern, von Obstbäumen und Sonnenblumen, er malt Schloß Kammer und dessen Allee, den Litzlbergkeller und die Ortschaft Unterach, und selbst der»Kuß«, wiewohl im Wiener Atelier ausgeführt, wäre ohne das Erlebnis Attersee schwer denkbar: Nie wieder hat er mit seinem Modell Emilie Flöge in so enger Nachbarschaft gelebt wie hier.

Da Klimt für seine Arbeit absolute Stille braucht und beim Malen keinerlei Gesellschaft um sich duldet, verläßt er oft schon im Morgengrauen sein Quartier und geht auf Motivsuche. Nicht einmal für den Transport der schweren Malsachen - Leinwände von 110 mal 110 Zentimeter Ausmaß, Farbkasten und Staffelei - mag er fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Um sich das ständige Hin- und Herschleppen zu ersparen, läßt er bei gutem Wetter die Traglast, unter Laub vergraben, an Ort und Stelle zurück. Vorsorglich wählt er Motive, die nicht zu weit von seinem Logis entfernt sind, und er bedient sich dabei eines eigenen Instrumentariums, das er aus Wien mitgebracht hat: Opernglas, Fernrohr mit Stativ, Sucher in Gestalt einer mit quadratischem Ausschnitt versehenen Pappscheibe. Das größte Unglück ist es für ihn, von Sommerfrischlern, die ihn auf einer ihrer Wanderungen entdecken, angesprochen zu werden: Er reagiert mit mürrischem Schweigen.

Was Klimt während seiner Urlaube im Salzkammergut womöglich noch mehr stört, sind Lebenszeichen seiner diversen Amouren. Ob liebevolle Erkundigung oder gar sanfte Ermahnung - nichts ist ihm verhaßter als Post aus seinem Wiener Harem.

Nun, das meiste, was sich diesbezüglich in Klimts Wiener Atelier - in dem Pavillon im Gartentrakt des Hauses Josefstädter Straße zi tummeln sich fast immer irgendwelche Modelle - abspielt, ist denkbar flüchtiger Natur: anspruchslose junge Mädchen»aus dem Volke«, die sich ihm für geringes Entgelt zur Verfügung halten, wenn der Meister, vom Malen ermüdet, zeichnen und vielleicht auch gleich der körperlichen Liebe frönen will. Sie sind schnell wieder vergessen, im Nu durch andere abgelöst, absolut ungefährlich.

Aber da gibt es auch Liaisons mit Tiefgang, bei denen das Herz mit im Spiel ist - und auch von Seiten Klimts. Zur Zeit seiner ersten Attersee-Aufenthalte gilt dies vor allem für eine gewisse Mizzi Zimmermann, mit der er mehr als drei Jahre hindurch engsten Umgang pflegt. Auch sie schneit ihm als Modell ins Haus, hat wohl auch selber künstlerische Ambitionen und weiß Klimt mit ihrem Liebreiz so sehr an sich zu fesseln, daß aus der Verbindung zwei Kinder hervorgehen, für die der Vater sogar zu sorgen bereit ist. Otto, der jüngere der beiden, stirbt im zartesten Alter, Gustav, der ältere, wird so etwas wie Klimts Herzbinkerl, dem er, lange bevor der Kleine lesen kann, die zärtlichsten Briefe schreibt. Zum Beispiel, als Gustl ein Jahr alt wird:

»Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen zu Deinem Geburtstag und wünsche Dir das Allerbeste für die Zukunft. Nun bist Du schon ein ganzes Jahr alt, das heißt also, Du bist schon ein ganz ein kleiner Mann, von dem man verlangt, daß er allein gehen kann, daß er Mama und Papa sagen kann oder lernt, daß er verschiedene Dinge höchsteigen verlangt und zwar mit dem Worte, Dinge, welche er bis jetzt, ohne das Wort zu nehmen, unter gewisser Stille vor sich gehen ließ. Ich bin neugierig, ob Du das alles fein treffen wirst, damit man Dich ein feines Bübchen nennen kann.«

Mizzi Zimmermann wohnt in nächster Nähe von Klimts Atelier; die Adresse - Tigergasse 38, 4. Stock, Tür 17 - läßt auf ärmliche Verhältnisse schließen. Immer wieder steckt ihr der zweifache Vater Geld zu. Und mit ihr hält er auch, wenn er in der Sommerfrische ist, Kontakt: informiert sie über Reiseverlauf und Ankunft, über Aufenthalt und Befinden, über den Fortgang seiner Arbeit. Ja, er erkundigt sich sogar auch nach ihren Lebensumständen, gibt ihr Gesundheitsratschläge, freut sich aufs Wiedersehen mit ihr und den Kleinen und versäumt fast nie, den Briefen Geldscheine beizulegen.

Als Mizzi im August 1903 - die Beziehung geht nun schon dem Ende zu - den am Attersee weilenden Geliebten um eine ausführliche Schilderung seines dortigen Lebens bittet, schreibt er ihr - verbunden»mit den herzlichsten Grüßen und Küssen«- nach Wien:

»Du willst eine Art Stundenplan wissen, die Tageseinteilung. Nun, die ist wohl sehr einfach und ziemlich regelmäßig.

Früh morgens, meist um 6 Uhr, ein wenig früher, ein wenig später, steh ich auf. Ist das Wetter schön, geh ich in den nahen Wald - ich male dort einen kleinen Buchenwald (bei Sonne) mit einigen Nadelbäumen untermischt, das dauert bis 8 Uhr. Da wird gefrühstückt, danach kommt ein Seebad, mit aller Vorsicht genommen, hierauf wieder ein wenig Malen, bei Sonnenschein ein Seebild, bei trübem Wetter vom Fenster meines Zimmers. Manchmal unterbleibt dieses vormittägige Malen, statt dessen studiere ich in meinen japanischen Büchern, im Freien. So wird's Mittag. Nach dem Essen kommt ein kleines Schläfchen oder Lektüre - bis zur Jause. Vor oder nach der Jause ein zweites Seebad - nicht regelmäßig, aber meistens. Nach der Jause kommt wieder die Malerei - eine große Pappel in der Dämmerung bei aufsteigendem Gewitter. Hie und da kommt statt dieser Abendmalerei eine kleine Kegelpartie in einem benachbarten kleineren Orte - jedoch selten. Es kommt die Dämmerung, das Nachtmahl, dann zeitlich zu Bette und wieder zeitlich morgens heraus aus den Federn. Ab und zu ist in diese Tageseinteilung noch ein kleines Rudern eingeschaltet, um die Muskeln, ein wenig aufzurütteln.

In dieser erwähnten Art läuft Tag für Tag, schon sind zwei Wochen passe, die kleinere Hälfte des Urlaubs ist vorüber, man geht dann wieder ganz gern nach Wien.«

Kein Wort verliert er über Art und Zusammensetzung seines Umgangs in der Sommerfrische. Und wie auch? Es könnte der samt Kindern in der Stadt Zurückgelassenen nur weh tun. Der Flöge-Clan, in den er am Attersee eingegliedert ist, bleibt in Klimts Korrespondenz mit Mizzi Zimmermann sorgfältig ausgespart: Das sind Dinge, die das»süße Mädel«in Wien nichts angehen...

Aber noch größer ist Klimts Sorge, seine Urlaubsgefährten könnten von der heimlich geführten Korrespondenz mit der Geliebten Wind bekommen. Am liebsten wäre ihm, sie begnügte sich mit seinen Briefen und schriebe nicht auch selber welche. Doch das kann er ihr schwer verbieten, also beläßt er es bei Andeutungen und versucht, bei Mizzi wenigstens Verständnis dafür zu wecken, daß ihm in puncto Korrespondenz die Hände gebunden sind:

»Mit dem Schreiben, liebe Mizzi, geht's hier herzlich schlecht... Fast alle Welt weiß, wem man schreibt und von wo man Briefe bekommt. Das ist zu dumm und zuwider. Der Briefträger kommt und bläst auf einer kleinen Trompete, die ganzen Inwohner des Hauses laufen bei ihm zusammen, gelockt durch diese Trompete, übernehmen und übergeben ihre Briefe, und so weiß alle Welt, von wannen ein Brief kommt und wohin er geht. Ich muß also meine Correspondenz auf das notwendigste beschränken.«

Auch auf anderes redet er sich aus:

»Überdies bin ich ein äußerst schreibfauler Mensch überhaupt, mehr noch am Lande, wo man im ganzen schon fauler ist, und so kommt's, daß mein Brief so lang ausbleibt, was Dich aber nicht zu verdrießen braucht, denn es ist ja doch der erste Brief, den ich schreibe.«

Alle andern - Mutter, Schwager etc. - bekämen überhaupt nur Ansichtskarten von ihm. Und wenn Mizzi ihm Vorwürfe macht (welche wohl?), blockt er kühl ab:

»Es hat mich sehr gefreut, daß Dein Brief so wohlgemut begonnen. Im Verlauf ist er weniger erfreulich... Von Stolz und >eh schon wissen< habe ich nicht verstanden, will auch keine Erklärung. Wir wollen das in Wien mündlich ausmachen...«

Ja, am Attersee im Umkreis der Flöges, da will er seine Ruhe haben: Kein Erotikballast soll das Bild vom Künstler, der nichts als seinen Dienst an der Kunst kennt, trüben. Nicht auszudenken, wie Emilie vor den Einheimischen dastünde, wenn publik würde, daß Klimt in Wien eine heimliche Geliebte hat! Und mit ihr zwei Kinder! Die»himmlische Braut«und ihr»Waldschratt«- so nennen sie die beiden liebevoll, wenn sie ihrer bei Bootspartien oder Spaziergängen rund um Seewalchen ansichtig werden, und niemand hegt auch nur den leisesten Zweifel, daß sie ein Paar im landläufigen Sinne sind. Daß sie auch nach sechzehn Sommern in Oberösterreich - 1916 ist Klimt, inzwischen Untermieter im Forsthaus Weißenbach, zum letztenmal mit von der Partie - noch immer nicht miteinander verheiratet sind, schreibt man den lockeren Sitten ihres Milieus zu: typisch Künstler!

Was für ein zärtlicher Liebhaber: Wohl noch nie hat eine Frau von ihrem Galan so viel Post bekommen wie Emilie Flöge. Einmal – es ist der 10. Juli 1909-gehen nicht weniger als acht Korrespondenzkarten an einem Tag von Wien nach Kammerl! Da ihr Inhalt wegen des chaotischen Mischmaschs aus Kurrent- und Lateinschrift, aus Hochdeutsch und Dialekt, aus Privatsprache und Telegrammstil für den Uneingeweihten nur schwer zu entschlüsseln ist, entgeht allfälligen»Zensoren«, daß es sich bei Klimts Depeschen an Emilie Flöge durchaus nicht um Liebesbotschaften handelt, sondern um Wetterberichte, um hypochondrische Schilderungen seines jeweiligen Befindens, um Reiseeindrücke, um Dinge des praktischen Alltags, um Tratsch.»Herzlichst Gustav«oder»Beste Grüße GUS«- so nüchtern enden sie allesamt. Nicht eine einzige Schlußfloskel, in die sich ein Kuß verirrt. Machen wir ein paar Stichproben:

»Es ist saukalt, kriege steife Finger!«

»Es taut gewaltig - allerdings nur, wo die Sonne hinkommt.«

»Der Teufel hole den Winter!«

»Frisch weht der Wind.«

»Durch Blitz und Donner geweckt.«

»Wenig Sauerstoff im Gehirn.«

»Hie und da Sodbrennen.«

»Mein Schnupfen erblüht herrlich.«

»Ganze Nacht Gußregen - sogar im Hotelzimmer vom Plafond herunter.«

»Leidlich gut geschlafen. Capricerl sehr gut, ditto Strudel. Heute prachtvolles Wetter und wunderschöne Fahrt.«

So und ähnlich geht das all die Jahre hindurch, und Emilie Flöge scheint sich nach und nach damit abzufinden, nur Muse und Seelenfreundin ihres»ewigen Bräutigams«zu sein. Die beinah sakral entrückte»hohe Minne«. Die Respektsperson, die man nicht anrührt. Ist ihr das wirklich genug? Oder will sie es am Ende selber nicht anders? Wir wissen es nicht. Die blühende junge Frau von königlicher Erscheinung, die sich für den Mann an ihrer Seite (aber natürlich gehört dies auch zu ihrem Metier als Modeschöpferin) in immer neue, immer noch phantastischere Roben wirft, die ihn, selber eine Künstlerin von Graden, in allen Fragen seiner Arbeit kompetent beraten kann, die ihm dabei sogar (etwa wenn ihn die Lust an den Entwürfen des Stoclet-Frieses verläßt) hilfreich zur Hand geht - ist es ihr Befriedigung genug, dafür in seinem Werk verewigt zu sein? Braucht, wer im»Kuß«den Part der»Hauptdarstellerin«innehat, nicht auch noch leibhaftig geküßt zu werden?

Wer sich heute, auf Gustav Klimts Spuren, am Attersee umsieht, kommt voll auf seine Kosten: Die Oleandervilla strahlt nach wie vor viel von ihrem alten Zauber aus, insbesondere, wenn man sich ihr vom See her nähert. Schloß Kammer und seine berühmte Lindenallee wirken zwar ein wenig devastiert, und aus dem umgebauten Brauhof Litzlberg sind gesichtslose Eigentumswohnungen geworden, aber dafür steht die denkmalgeschützte Villa Paulick mit all ihren Veranden und Salons, ihren Türmchen und Giebelchen dem allgemeinen Touristenpublikum offen. Freilich - zu hohe Ansprüche an den Genius loci sollte sich, wer in dem prachtvollen alten Gemäuer logiert, aus dem Kopf schlagen: Der Meister des»Kusses«und seine»Geküßte«haben hier zwar einige Tage Tür an Tür residiert, aber geküßt haben sie einander offensichtlich nicht. Das kunstsinnige junge Urlauberpaar, das unlängst in der Villa Paulick vorstellig wurde, um während der Flitterwochen das»Klimt-Flöge-Zimmer«zu beziehen und an dem für sie geheiligten Ort ein Kind zu zeugen, wird hoffentlich darüber aufgeklärt worden sein, daß man ihren Wünschen nicht entsprechen kann.


Schwarzer Kaffee und gemischter Tabak

Auf dem Tisch vorm Sofa, das wie der daneben lehnende l\. Schaukelstuhl nur von seinen Gästen benutzt wurde, während er selbst ihnen immer auf einem gewöhnlichen Rohrstuhl oder auch am Klavier gegenübersaß, mußten Tag und Nacht die Kaffeemaschine samt Service sowie der Tabakbehälter in Bereitschaft stehen. Er kochte sich sein Lieblingsgetränk selbst, wie er auch seine aus verschiedenen Tabaksorten gemischten Zigaretten eigenhändig drehte.«Max Kalbeck, Musikreferent der»Neuen Freien Presse«, in seinen Erinnerungen an Freund Johannes Brahms.

Für Reliquienjäger wie für Stimulans-Forscher gibt's frohe Kunde: Sie können Brahms' komplettes Lasterinstrumentarium persönlich in Augenschein nehmen! Sowohl der elegante Spirituskocher aus der Manufaktur des Wiener Hoflieferanten Hippolit Turzanski (Porzellansockel und Messingkessel, Glasglocke, Brennplatte und Sieb) wie der halb mannshohe Tabakständer (Nußholzgestell mit Zigarrenbehälter, Zündholzreibfläche, Kerzenhalter und Aschenbecher) befinden sich als Dauerleihgaben der Wiener Städtischen Sammlungen im Brahms-Museum zu Mürzzuschlag. Der Ausflug in die obersteirische Künstlersommerfrische der Jahre 1884/85 lohnt sich auch sonst: In den Räumen des vorzüglich erhaltenen Hauses an der Wiener Straße 2 erwartet den Besucher eine der stimmungsvollsten Musikergedenkstätten Österreichs (täglich 10 bis 12 und 14 bis 18 Uhr).

Ob Mürzzuschlag (wo die IV. Symphonie und an die dreißig Vokalwerke entstehen) oder Pörtschach, ob Preßbaum oder Ischl – durchwegs sind es die Sommerquartierem an denen der Wahlwiener aus Hamburg zu seiner Höchstform findet. Da sich diese Höchstform aber nur einstellt, wenn sowohl in ausreichender Menge wie in der gebotenen Qualität die nötigen»Drogen«zur Hand sind, stehen die Mürzzuschlager Exponate hoch über dem üblichen Haarlocken-Fetischismus: Sie tragen auf ihre Weise dazu bei, ein wenig vom Mysterium des kompositorischen Schaffensprozesses zu erhellen.

Brahms ist ein geselliger Typ, der seine Umgebung an seinen Genüssen teilhaben läßt. Damit ihm nie, wenn er Gäste hat, der Mokka ausgeht, steht als Reserve noch ein zweiter Kocher bereit; damit er auch auf Reisen über die entsprechende Lieblingssorte verfügt, läßt er sich per Post die Kaffeebohnen seiner Wahl aus Wien nachsenden; auch die Vorräte an Havanna-Zigarren sowie an auserlesenen Likören werden laufend aufgestockt; und für die Kleinen deckt er sich in seiner Stammconfiserie mit Kieselsteinzuckerln ein, die er bei jeder Gelegenheit aus den Taschen seiner Beinkleider hervorzaubert, wobei es sein ganzes Entzücken bildet, wenn er die naiven Landkinder glauben machen kann, sie lutschten wahrhaftig an Mineralien.»Gschrappen«, die es ihnen heute gleichtun wollen, finden im Museums-Shop Nachbildungen der Brahms-Zuckerln von anno dazumal. Aber auch die»Großen«kommen in Mürzzuschlag auf ihre Kosten: indem sie sich ihre etwaige Huldigungs-Pfeife nicht mit einem der neuzeitlichen Feuerzeuge anzünden, sondern selbstverständlich mit einem Streichholz á la Brahms (die Schachtel zu 19 Schilling). Ich weiß, am Souvenirkult scheiden sich die Geister. Doch keine Sorge: All die vielen anderen Brahms-Memorabilien, die sich erhalten haben, sind nicht als dubiose Duplikate auf dem Markt, sondern lagern im Originalzustand in den Regalen der Museumsdepots: Manschette und Krawatte, Unterhose und Galoschen, Bärenfell und Waschkasten, Reisestockerl und Flachmann, Kohlenschaufel und Spucknapf (sie allerdings in Wien). Als zehn Jahre nach des Meisters Tod das Haus in der Karlsgasse, das seit 1871 sein Wohnsitz ist, geschleift wird und seine Vermieterin Celestine Truxa aus dem 4. in den 6. Bezirk umzieht, verbleibt das gesamte Inventar, obwohl nominell im Eigentum der seit 1904 bestehenden Brahms-Gesellschaft, im Übersiedlungsgut, und Sohn Leo Truxa rettet es seinerseits über den Zweiten Weltkrieg hinweg. Etliche der kostbaren Stücke, unterdessen den Städtischen Sammlungen einverleibt, können somit im Wiener Brahms-Gedenkraum bestaunt werden, der dem Haydn-Museum in Mariahilf angegliedert ist (VI., Haydngasse 19, dienstags bis sonntags 9 bis 12 Uhr und 13 bis 16 Uhr).

Besuchern, denen dies alles noch immer zu wenig ist, sei Kalbecks eingangs erwähnte (und üppig illustrierte) Beschreibung des Brahms-Domizils empfohlen: Von der Türglocke bis zum Klavier, vom Reisekoffer bis zum Bett lassen sich auf diese Weise Aura und Lebensstil des Meisters bequem nachvollziehen. Überflüssigstes Stück: der Wandspiegel, in den der bekannt uneitle Brahms kaum je hineingeblickt haben dürfte. Um so interessanter die Bibliothek, in der er kein Buch duldete, das er nicht gelesen hatte, so daß er jedes, das er suchte, auf Anhieb auch im Finstern fand. Und noch etwas, das Brahms vor manchen seiner Kollegen auszeichnete, bedarf der Erwähnung: Seine Wohnung war ein einziger Hort der Huldigung an die anderen Großen seines Metiers. Hier eine Haydn-Büste, dort ein Händel- und ein Mendelssohn-Porträt, hier ein Doppelmedaillon der Schumanns, dort Beethovens Todesmaske - und auf dem Notenpult des Klaviers, spielbereit aufgeschlagen, fast immer eines der Werke seines Abgottes Bach.

 

Bodenscheue Beinkleider und schlotternde Jacketts

Die schwere Neurose, die den Dreiundvierzigjährigen über Monate dem Zwang unterwirft, alles, was ihm ins Blickfeld gerät, zählen zu müssen: die Blätter am Baum, die Fenster eines Hauses, die Sterne am Himmel, scheint fürs erste überwunden. Anton Bruckner, im Herbst 1868 zum k. k. Hoforganisten bestellt, kann nach Absolvierung einer Kaltwasserkur in Bad Kreuzen die Ubersiedlung nach Wien in die Wege leiten:»Lebe wohl!«kritzelt er mit Bleistift in den Spieltisch der Linzer Domorgel.

Nanni, die Lieblingsschwester, begleitet ihn an den neuen Wohnsitz und führt ihm die Wirtschaft. Mit im Reisegepäck: ein Porträt der frühverstorbenen Mutter - eigens hat er einen Photographen an ihr Totenbett in Ebelsberg beordert. So oft ihn neue Depressionen heimsuchen, wird er den dunkelgrünen Vorhang an der Schlafzimmerwand beiseite schieben und mit dem dahinter verborgenen Bild Zwiesprache halten. Die Wohnung im dritten Stock des Hauses Heßgasse 7, gleich neben dem Ringtheater (dessen Brand am 8. Dezember 1881 ihn so tief erschüttern wird, daß er fortan statt Petroleumlampen nur noch Kerzen als Beleuchtungskörper um sich duldet), weist bloß das Allernötigste an Mobiliar auf. Das Tischchen neben dem Flügel ist so prall mit Notenblättern überhäuft, daß nur ein winziges Eckchen fürs Komponieren freibleibt. Kein Teppich, kein Vorhang. Zwei Schränke werden angeschafft - auch sie nichts Besonderes: einer zum Legen, der andere zum Hängen. Hier Bettzeug und Unterwäsche, dort das Gewand.

Als nach Bruckners Tod das gesamte Inventar in die Hände seiner Geschwister übergeht, wissen Ignaz und Rosalia auf der Stelle, was sie damit zu tun haben, und lassen im Stift St. Florian ein Gedenkstiiberl einrichten. Nur der Wäschekasten verbleibt im Familienbesitz, dient dem Vöcklabrucker Gärtnermeister Hueber, der Bruckners Schwester Rosalia zur Frau genommen hat, als Dekorationsstück für die Auslage. So lassen sich, von Zyklamen umkränzt und mit einer Bruckner-Büste als Blickfang, Firmenreklame und Künstlerverehrung vortrefflich unter einen Hut bringen.

Es kostet die Emissärinnen des Anton-Bruckner-Instituts, die ein Jahrhundert später ein begehrliches Auge auf das geheiligte Möbel werfen werden, nur wenige Worte, den Hueber-Nachkommen das gute Stück abzubetteln: Der Wäschekasten kehrt an seinen Ursprungsort Wien zurück. Daß der Sattledter Tischler, der die inzwischen schadhaft gewordenen Teile ausgebessert hat, nur die reinen Selbstkosten in Rechnung stellt, paßt ebenso ins Bild wie die Wahl des künftigen Aufbewahrungsortes: kein protziger Schauraum, sondern eines der schlichten Arbeitszimmer der Kommission für Musikforschung (I., Fleischmarkt 20-22, Tel. 5131396).

Der Aura des Bescheidenen, Naiven, ja Tölpelhaften, die ganz wesentlich zum Persönlichkeitsbild des großen Symphonikers aus Oberösterreich gehört, ist man in diesem Nicht-Museum mit Sicherheit näher als anderswo. Unbelastet von allem theatralisch inszenierten Geniekult, läßt sich an dieser von keinem Wien-Führer angepriesenen Adresse vorzüglich in Leben und Leiden des»Musikanten Gottes«hinabtauchen, der die (kürzere) zweite Hälfte seines Daseins in der Reichshaupt- und Residenzstadt verbringt, dort - im Schatten des bärbeißigen Brahms und des eleganten Strauß - für alle Zeiten ein Fremdling bleibt, mehr und mehr sein Äußeres vernachlässigt, das Haar kurz trägt, sich in bodenscheue Beinkleider und übergroße Jacketts flüchtet, ja sein verschrobenes Outfit vielleicht gar als Mimikry kultiviert.

Wo hat's das in Wien je gegeben, daß ein Hochschullehrer (neben seinem Doppelberuf Organist/Komponist unterrichtet Bruckner auch am Konservatorium und an der Universität) seine Vorlesungen unterbricht, um mit den Studenten den»Engel des Herrn«zu beten? Daß er in seinen Taschenkalendern genau Buch führt über die täglichen religiösen Übungen, daß er all den Mädchen, um die er (vergeblich) wirbt, zwecks Anbandeins eine Taschenuhr und ein Gebetbuch zusteckt und daß er bei Schuberts Exhumierung auf dem Währinger Friedhof die Gelegenheit benützt, dem Hochverehrten zärtlich über den Totenschädel zu streichen, läßt noch zu seinen Lebzeiten die Bruckner-Anekdoten ins Kraut schießen, und der Köchin Kathi Kachelmayer, die ihm seine Leibspeisen - Milchnudeln, Geselchtes mit Grießknödel und Schokoladensuppe - auftischt, sagt er selber voraus, sie werde durch ihn zur historischen Persönlichkeit werden. Und in der Tat: Daß sie Bruckner seit dem Ableben seiner Schwester nun auch die Wohnung instand hält, die Blumen gießt, die Kleider besorgt und den Arzt ruft, macht die resolute Landsmännin für den Rest seiner Tage zu seiner engsten Vertrauten. Der Wäschekasten in dem Hinterhausbüro am Fleischmarkt ist somit nicht nur ein Bruckner-, sondern zugleich ein Kachelmayer-Denkmal.

 

Das»Winterklavier«

Wenn ihn die Gassenbuben mit ihrem Peitsehengeknall zur Raserei bringen, stürzt er aus dem Haus und konfisziert ihnen die Kreisel, und um dem»vermaledeiten Gezwitscher«der Finken ein Ende zu machen, beschafft er sich eine Flinte und legt auf die frühmorgendlichen Störenfriede an. Na, wenigstens bleibt er hier von den sangesfreudigen Kirchenbesuchern verschont, deren»Brüllerei«ihm unlängst am Traunsee so fürchterlich zugesetzt hat:»Am Pfingstmontag war vier Mal Messe!«Wie soll man da zum Komponieren kommen?

Die Jahre in Perchtoldsdorf sind für Hugo Wolf – abgesehen von Zwangspausen, in denen sich die Todeskrankheit des bei einem Besuch des Wiener Bordells»Zur Lehmgruben«mit Syphilis Infizierten ankündigt - eine Phase rauschhafter Schaffenskraft: Gezählte 116 Lieder bringt er zwischen 1888 und 1896 zu Papier, vor allem die virtuosen Mörike-Vertonungen – einmal sind es nicht weniger als drei an einem Tag. Auch das»Spanische Liederbuch«entsteht hier, desgleichen Teile der Oper»Der Corregidor«, und bei der Gestaltung des Klaviersatzes für Goethes»Kennst du das Land«gelingt ihm zum erstenmal die Weitung ins Orchestrale, was bedeutet, daß er seinem Flügel das Äußerste an Expressivität abverlangt:»Hätte ich zur gestrigen Geisterstunde Publikum um mich gehabt, die Leute hätten gedacht, der Teufel musiziere ihnen was vor...«

Es handelt sich um ein Fabrikat der k. k. Hof-Pianoforte-Manufaktur Promberger & Sohn in der Wiener Florianigasse, die über ein eigenes Privileg für Glockenklaviere verfügt und mit ihrem»Sirenion«in die Ruhmeschronik der Klaviermacherkunst eingehen wird. Besitzer des kostbaren Instruments, das unter Wolfs Händen zum»imaginären Orchester«avanciert, ist die Familie Werner, die den ehemaligen Montserraterhof in der Brunnergasse zu Perchtoldsdorf zu ihrem Sommersitz erkoren hat. Heinrich Werner ist Börsenmakler; bei einem Besuch des Architekten Viktor Preyss in dessen Villa in Mayerling lernt er den Mittzwanziger Hugo Wolf kennen, der, noch immer auf Zuwendungen aus dem Windischgrazer Elternhaus und auf seine Einkünfte als Klavierlehrer angewiesen, von kunstsinnigen Wohltätern durchgefüttert wird.

Nun also sind es die Werners, die sich seiner annehmen: Ihr Perchtoldsdorfer Besitz steht den Winter über leer, hier kann sich Österreichs Liederkomponist Nr. 1 zwischen Oktober und Mai einnisten. Das Musikzimmer im Obergeschoß ist turmartig angelegt; eines der Fenster geht auf den weitläufigen Garten, ein zweites auf den Nachbargrund, das dritte zur Straße.

Für die kalte Jahreszeit ist das Anwesen freilich schlecht gerüstet: Der alte Kachelofen schafft nicht mehr als acht Grad Reaumur, auch ist kein Wasser im Haus, fürs Licht bleibt der Nachtarbeiter Hugo Wolf auf die schwache Petroleumfunzel angewiesen, und mit der Bedienung klappt's erst, als die unwirschen Gärtnersleute, die sich durch das»Aniklempern«des neuen Bewohners in ihrem Winterschlaf gestört fühlen, eine Nachfolgerin erhalten: Der gutmütigen Pepi können die Marotten des Sonderlings, der sie einmal gar mit dem Ausspruch»Wissen S' denn nicht, daß ich ein Mörder bin?«zu schrecken versucht, wenig anhaben.

Auf dem runden Biedermeiertisch breitet er sein bißchen Habe aus: das Notenpapier, das Schreibzeug, die Bücher, den Tabak. Auf einem Rohrtischchen steht die Kaffeemaschine der Marke»Non plus ultra«, an einem Kleiderhalter hängt die Kautschuk-Reisebadewanne, die er für die täglichen kalten Waschungen braucht. Läßt das Wetter es zu, so streift er das wollene Wams über und klettert über den Gartenhang zum»Häuslein Windebang«hinauf, einem tempelartigen Salettl mit Aussicht auf Weinstöcke und Hochberg, wo sich's vortrefflich über die Gedichte meditieren läßt, die er sich für die nächste Vertonung vorgenommen hat.

Wenn Melanie Köchert, die leidenschaftlich ergebene Hugo-Wolf-Muse und Gattin des Wiener Nobeljuweliers, aus der Stadt zu Besuch kommt, liest sie ihrem Schützling jeden Wunsch von den Augen ab: Einmal ist es eine Kaffeemühle, einmal ein Paar neue Schuhe, ein andermal eine Lieferung frische Eier, dann wieder ein Billet fürs nächste philharmonische Konzert. Drei Jahre nach seinem frühen Tod - der inzwischen vom Größenwahn Gezeichnete wird im Oktober 1898 in die Landesirrenanstalt in der Wiener Lazarettgasse eingeliefert und stirbt knapp dreiundvierzigjährig am 22. Februar 1903 in den Armen seines Wärters – wird sich die unglücklich Liebende gleichwohl Vorwürfe machen, zu wenig für ihn getan zu haben, und verübt mit einem Sprung aus dem Köchert-Haus am Mehlmarkt Selbstmord.

Die Hugo-Wolf-Gedenkstätte in Perchtoldsdorf mit ihrem im Originalzustand belassenen Komponierstüberl (Brunnergasse 26) kann nach telephonischer Vereinbarung (8 66 83 52) besichtigt werden; das berühmte»Winterklavier«ist nicht nur nach wie vor intakt, sondern wird sogar in regelmäßigen Abständen gestimmt.

 

Notenpulte - hausgemacht

Was - zu seiner Musik nun auch noch seine Bilder? Da muß einem ja zugleich Hören und Sehen vergehen!«Die Berichte über die Ausstellung in der Hellerschen Buchhandlung am Bauernmarkt sind vernichtend: Arnold Schönberg stellt sich im Herbst 1910 der Öffentlichkeit auch als Maler vor.»Grauenvollster Dilettantismus!«urteilt das»Wiener Illustrierte Extrablatt«über die siebenundvierzig Gemälde und Aquarelle. Doch der Sechsunddreißigjährige ist Schelte gewohnt: Die Uraufführungen seiner beiden ersten Streichquartette und seiner Kammersymphonie haben mit solchen Tumulten geendet, daß er auf die Eintrittskarten eines Wiederholungskonzerts den Vermerk drucken läßt, das Publikum sei nur zu ruhigem Zuhören berechtigt, nicht aber zu Meinungsäußerungen wie Applaus oder Zischen.

Schönbergs Selbstwertgefühl tut dies alles keinen Abbruch: Als er sich, um seine kärglichen Einkünfte als Komponist aufzubessern, seinem Verleger auch als Porträtmaler empfiehlt, verbittet er sich ein für allemal jedwede Kritik. Eventuellen Auftraggebern sei klarzumachen,»daß es doch viel interessanter ist, von einem Musiker meines Rufes gemalt zu werden als von irgendeinem Kunsthandwerker, dessen Namen in zwanzig Jahren kein Mensch mehr kennt«.

Die Geschichte wird ihm recht geben: Auch Schönbergs bildnerisches Talent ist heute, neunundvierzig Jahre nach seinem Tod, unbestritten. Man sehe sich in Mödling um, seinem Domizil zwischen 1918 und 1925: Im ehemaligen Arbeitszimmer befindet sich nicht nur seine Staffelei, sondern auch Faksimiles seiner Graphiken»Der Sieger«und»Der Besiegte«.

Vor allem aber kann der Besucher in den restaurierten Räumen in der Bernhardgasse 6 (Donnerstag und Freitag 9 bis 15 Uhr, Telephon 02236-42223) noch eine weitere Seite des Multitalents Schönberg kennenlernen: die des begnadeten Bastlers. Die fiir die Mödlinger Hauskonzerte (er selber übernimmt in seinem Streichquartett den Cello-Part) gezimmerten Notenpulte stammen von seiner Hand, sind aus Bretterresten und Besenstielen zu einem raffiniert verstellbaren Gebilde zusammengefügt, ja sogar mit einer Ablage für den Aschenbecher ausgestattet: Der notorische Kaffee-, Likör-, Codein- und Pantopon-Konsument raucht bis zu hundert Zigaretten am Tag. Passionierter Buchbinder, fertigt er sich selber die Partituren an, für seine Frau malt er Patiencekarten, und aus Pappmache zaubert er eine Spielzeuggeige. Nur für das faltbare Reisepult und den schweren Überseekoffer mit dem Spezialfach für den Frack muß er handwerkliche Hilfe in Anspruch nehmen.

 

Der Wiener Schuhhändlerssohn Arnold Schönberg ist dreiundvierzig, als ihm im Frühjahr 1918 die Wohnung nächst Schloß Schönbrunn gekündigt wird: Die Familie übersiedelt ins Hochparterre einer Mödlinger Gründerzeitvilla, wo auch für den nun einsetzenden Gruppenunterricht seiner Schüler ausreichend Platz ist. Zum Jour fixe am Sonntagmorgen finden sich sein Lehrer Alexander von Zemlinsky (dessen Schwester Mathilde er 1901 geheiratet hat) sowie die Kollegen Alban Berg und Anton von Webern ein; letzterer ist sogar, um seinem Idol nahe zu sein, nach Mödling übersiedelt und wohnt ums Eck in der Neusiedlerstraße.

Der Geniestreich, mit dem Schönberg in die Musikgeschichte eingehen wird, kündigt sich erstmals 1921 an; in der Sommerfrische am Traunsee weiht er seinen Assistenten Josef Rufer ein:»Ich glaube, ich habe eine Methode des Komponierens gefunden, die die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre sichert.«Achtzehn Monate später ist es soweit, daß er seinen Jüngern am Beispiel der noch unveröffentlichten neuesten Kompositionen die sogenannte Zwölftontechnik erläutern kann. Die Wiege der»Wiener Schule«steht also nicht in Wien, sondern in Mödling!

Noch im selben Jahr stirbt Gattin Mathilde; Gertrud, die Schwester seines Schülers Rudolf Kolisch, wird Schönbergs zweite Frau. In der evangelischen Stadtkirche findet die Trauung statt - vom Erker seines Arbeitszimmers blickt er auf den Kirchturm. Die Glocken stören ihn hier weniger als in Wien, wo er sich darüber beim Kollegen Mahler ausweint (der ihm daraufhin rät:»Dann nehmen Sie sie doch einfach in Ihre nächste Symphonie!«)

1925 löst Schönberg, einem Ruf an die Berliner Akademie der Künste folgend, den Mödlinger Haushalt auf, 1933 emigriert er in die USA. Nach Österreich, wo er schon früh mit antisemitischen Ausschreitungen konfrontiert worden ist, wird er nie wieder zurückkehren. Wohl aber macht die 1972 gegründete Internationale Schönberg-Gesellschaft aus dem ehemaligen Domizil eine Gedenkstätte, die Schönberg-Kinder steuern Memorabilien aus ihrem Besitz bei, Konzerte mit Weltklassekünstlern und Kurse für serielle Musik nehmen ihren Anfang, Prof. Richard Hoffmann, einer seiner letzten und engsten Vertrauten, kommt Jahr für Jahr mit seinen Studenten aus Ohio zu mehrmonatigen Seminaren angereist: Mödling wird - mehr als zu seinen Lebzeiten, wo Sohn Georg als Teamspieler beim örtlichen Fußballklub größere Popularität genießt als der nachmals weltberühmte Vater - posthum zur Schönberg-Stadt.

 

Lehár und die Schikaneder-Sänfte

Was hat die»Lustige Witwe«mit der»Zauberflöte«zu un? Anders gefragt: Wieso wird das Haus Hackhofergasse 18 von den einen»Lehár-Schlössl«genannt und von den andern»Schikaneder-Sehlössl«? Auf zum Lokalaugenschein nach Nußdorf!

Wären da nicht die beiden Porträtreliefs links und rechts vom Eingang, ließe die straßenseitige Hausfront kaum etwas von der Besonderheit der Adresse ahnen. Hat man aber einmal das Tor durchschritten, so folgt eine Überraschung auf die andere: der stimmungsvolle Hof, gleich linker Hand die spätbarocke Hauskapelle (in der Startenor Richard Tauber getraut worden ist), geradeaus die zum Obergeschoß führende Freitreppe, dann der imposante Festsaal mit der»Königin der Nacht«am Deckenfresko, schließlich der Blick in den 3000 Quadratmeter großen Park, im Hintergrund die Donau. Bleiben wir im Saal. Hier vor allem ist es, wo sich die Biographien zweier Giganten des Musiktheaters überschneiden: des»Zauberflöte«-Librettisten Emanuel Schikaneder und des Operettenkomponisten Franz Lehár. Als dieser zur Welt kommt, ist jener bereits 58 Jahre unter der Erde. Was sie miteinander verbindet, ist das Haus: Hier haben beide residiert. Und zumindest eines der Stücke des Inventars haben beide benützt: die schöne alte Sänfte. Dem Älteren dient der barocke Tragsessel mit dem vergoldeten Schnitzwerk, dem feingeschliffenen Glasfenster, der gepolsterten Sitzfläche, den brokatenen Sitzgurten und dem mit Samt ausgeschlagenen Inneren als Transportmittel, dem Jüngeren als Puppenvitrine.

Baulich wiederholt stark verändert, ist das Anwesen vis à vis des nicht minder berühmten Zwettlhofs ursprünglich im Eigentum des passauischen Rentamtes Königstetten. Als 1801 der aus Bayern zugewanderte Schauspieler, Sänger und Theaterdichter Emanuel Schikaneder – zehn Jahre nach der Uraufführung von Mozarts»Zauberflöte«, zu der er nicht nur das Textbuch beisteuert, sondern auch als erster Papageno auf die Bühne tritt – das Theater an der Wien gründet, hält der Fünfzigjährige nach einem standesgemäßen Logis Ausschau. Seine Wahl fällt auf den ehemaligen Freihof im zu dieser Zeit noch ländlichen Nußdorf. Doch die 10000 Gulden, die er dem Vorbesitzer hinblättert, sind schlecht angelegt: Napoleons Truppen plündern das Schloß, den Rest besorgt die Geldentwertung von 1811. Schikaneder, verelendet und bald auch geistig umnachtet, stirbt in einer Mietwohnung im Bezirk Josefstadt und wird in einem Armengrab auf dem Währinger Friedhof beigesetzt.

Wieder wechselt das nunmehrige»Schikaneder-Schlössl«mehrmals den Besitzer, ehe 1932 Franz Lehár zugreift. Der zu dieser Zeit Zweiundsechzigjährige blickt auf Welterfolge wie»Die lustige Witwe«,»Der Graf von Luxemburg«,»Paganini«und»Das Land des Lächelns«zurück; jetzt sitzt er über der Partitur seines Spätwerks»Giuditta«. Der Meister der Operette genießt, was 130 Jahre vor ihm der Meister der Oper genossen hat: den prachtvollen Landsitz am Stadtrand Wiens. Und was ihn daran besonders freut: Unter dem Mobiliar von anno dazumal hat sich auch die kostbare alte Sänfte erhalten, mit der sich Schikaneder – vier kräftige Mannsbilder an den Tragstangen – in»sein«Theater hieven ließ.

Inzwischen ist allerdings das Autozeitalter angebrochen: Lehár bestückt das anachronistische Vehikel mit Puppen seiner Operettenfiguren, die ihm Verehrer zum Geschenk gemacht haben. In stilechte Kostüme gewandet, tummeln sich also nun Miniaturen von Hanna Glawari und Frasquita, des Zarewitsch und des Prinzen Sou-Chong auf dem Schikaneder-Tragsitz...

1945 wird dem Nußdorfer Anwesen ein weiteres Mal übel mitgespielt. Was seinerzeit die französische Soldateska, sind nun die russischen Besatzer: Sämtliche Räume (die der kurz vor Kriegsende erkrankende Lehár unterdessen mit seinem Ischler Domizil vertauscht hat) werden brutal verwüstet; erst die Amerikaner, die als nächste Einzug halten, erweisen dem Schöpfer der»Merry Widow«Reverenz. Doch zur Wiederinstandsetzung kommt es erst nach des Meisters Tod (1948): General Anton Freiherr von Lehár, der jüngere Bruder, der das Erbe antritt, die Verwaltung des Nachlasses übernimmt und auch selber in der Hackhofergasse Quartier bezieht, eröffnet 1951 in einem Teil der Räumlichkeiten eine Gedenkstätte, und da darf natürlich auch die gute alte Sänfte nicht fehlen. Er muß dafür tief in die Tasche greifen: Lehárs in der Schweiz lebende Schwester, der die Inneneinrichtung des Hauses zugefallen ist, hat das meiste davon veräußert, Bruder Anton muß es vom Dorotheum zurückkaufen. Als er selber 1962 das Zeitliche segnet, geht der komplette Besitz an jenes brave Ehepaar über, das ihn und seine Frau in deren letzten Lebensjahren gepflegt und umsorgt hat: Erich und Hermine Kreuzer. Liebevoll und ohne fremde Hilfe hüten sie nun schon achtunddreißig Jahre das»Lehár-Schlössl«und lassen bei Voranmeldung (Tel. 3185416) gern auch interessierte Besucher ein.

Ihr schönstes Erlebnis: Unlängst stellte sich ein Gast in der Hackhofergasse ein, um die seit Kriegsende»abgängige«Hanna Glawari zurückzuerstatten. Als kleiner Bub hatte ihm beim Spielen im demolierten»Lehár-Schlössl«einer der sowjetischen Besatzungssoldaten die Puppe zugesteckt. Inzwischen Großvater, wollte er das guterhaltene Stück einer seiner Enkelinnen schenken. Doch die, weder für Antiquitäten aufgeschlossen noch operettenkundig, gab dem Opa deutlich zu verstehen, daß ihr eine»Barbie«lieber wäre. Und so ist die»Lustige Witwe«aus der Schikaneder-Sänfte seit kurzem wieder an ihrem angestammten Platz.

 

Für S 500.- ein Stückerl Balkon

Klosterneuburg-Kierling, Hauptstraße 187, Frühjahr 1983. Einer der Altmieter stirbt, seine Wohnung wird frei. Daß sie kaum 50 Quadratmeter mißt und nur Substandardansprüchen genügt, besagt gar nichts: Für die vor vier Jahren gegründete Österreichische Franz-Kafka-Gesellschaft ist sie von höchstem Wert. Literaturpapst Wolfgang Kraus und Hauptschuldirektor Norbert Winkler, die sich zum Ziel gesetzt haben, im ehemaligen Sanatorium Hoffmann ein Kafka-Forschungszentrum zu installieren, sind nun zumindest mit einem Fuß in dem zwar äußerlich schäbigen, aber durch seine kulturhistorische Aura geheiligten Haus.

Jetzt geht's nur noch darum, zu klären, welches der acht Einzelzimmer dasjenige ist, in dem der Dichter die letzten 46 Tage seines Lebens zugebracht, der knapp Einundvierzigjährige am 3. Juni 1924 für immer seine Augen geschlossen hat. Einfach ist das nicht: Aufzeichnungen existieren keine, auch Zeitzeugen können nicht weiterhelfen. Nur aus Briefstellen und Sonnenstandsanalysen läßt sich's mit einiger Gewißheit rekonstruieren: Es ist das linke Eckzimmer im zweiten Stock – mit Blick auf Garten und Wald.

Von der ursprünglichen Einrichtung hat sich nichts erhalten, und auch die durch wiederholtes Reproduzieren unscharf gewordene Photographie gibt sie nur verschwommen wieder: Bett und Nachtkästchen, Tisch und Sessel, Kommode, Schrank und Chaiselongue.

Als man, wiederum einige Jahre später, darangeht, die denkmalschützerische Sanierung des heruntergekommenen Hauses einzuleiten, entscheidet man sich statt der penibel konservierenden für eine mehr pragmatische Lösung: Der mit den Jahren brüchig gewordene Originalbalkon des Kafka-Zimmers wird abgetragen, die hölzernen Stützen in Scheiben zerlegt, etikettiert und den Besuchern der Gedenkstätte zum Erwerb angeboten - öS 500.- das Stück. Bausteine, deren Erlös der Vervollständigung der Kafka-Bibliothek zufließen soll, die schon jetzt allen Interessierten zur Verfügung steht (telephonische Anmeldung: 02243-21896).

Haarlockenfetischismus, wie er an Orten wie diesem so gern gepflegt wird, hat hier keinen Platz. Wie leicht ließe sich ein Bleistift aus den Zwanzigerjahren auftreiben und als jenes Schreibutensil ausgeben, mit dem der Todkranke seine letzte Arbeit erledigt hat: die Korrektur der Druckbögen seines Erzählbandes»Ein Hungerkünstler«. An Authentizität ist gleichwohl kein Mangel: Die Fassade des Gebäudes, behutsam restauriert, ist ganz die alte, und erst recht gilt dies für das Stiegenhaus mit dem in den Steinboden eingelassenen Willkommensgruß»Salve«, den antiquierten Etagen- und Türschildern, den Bassenas und Gang-Toiletten, dem schon vor langer Zeit stillgelegten Personenaufzug. Nur wenige Schritte vom Haus entfernt hält noch immer der Bus der Linie Kolda, die auch Kafka benützt hat – es war der erste Privatautobus im damaligen Österreich. Literaturfreundlich auch das Verhalten der verbliebenen Hausparteien: Für unangemeldete Besucher halten sie ohne Widerrede den Schlüssel der Kafka-Gedenkstätte bereit.

Am 19. April 1924 kommt Franz Kafka in Kierling an – als Todeskandidat wie die meisten Insassen des Privatsanatoriums Dr. Hoffmann. Die Diagnose ist ihm bekannt: Kehlkopftuberkulose, unheilbar. Weder das Sanatorium Wienerwald in Ortmann noch Prof. Hajeks Laryngologische Klinik in der Wiener Lazarettgasse haben den Zustand des Dichters bessern können. Die Behandlung in Kierling – der Ordinationsraum verfügt über nicht viel mehr als eine Hausapotheke – beschränkt sich auf Kampfer-Injektionen, schmerzstillende Pulver, Eisbeutel, Wickel und Inhalieren. Der Patient kann kaum noch schlucken, die Nahrungsaufnahme bereitet ihm Höllenqualen. Gefährtin Dora Diamant, die er sogar zu heiraten erwägt, und der Medizinstudent Robert Klopstock sind zusammen mit Kafka angereist: Er hält die Nachtwache, sie bereitet die Mahlzeiten. Das Personal des mehr einer Pension gleichenden Sanatoriums – zwei Stubenmädchen, ein sogenanntes Extramädel, der Hausdiener, die Köchin und eine Krankenschwester – bekommen den Patienten kaum zu Gesicht: Der auf 45 Kilo Abgemagerte kann nur noch gelegentlich das Bett verlassen. Der Friseurgehilfe, der ins Haus kommt, muß höllisch aufpassen, daß er seinen Klienten nicht beim Rasieren verletzt, so eingefallen sind dessen Wangen. Mit den Worten»Töten Sie mich, sonst sind Sie ein Mörder!«verlangt Kafka nach der erlösenden Morphiumspritze; Freund Klopstock beläßt es bei Pantopon.

Noch am Vorabend des Sterbetages rafft sich der Dichter zu einem letzten Brief auf – er geht an die Eltern nach Prag, ist ein Widerruf seiner Einwilligung, ihn in Kierling zu besuchen. jede Ausrede ist ihm recht: Der Vater werde Mühe haben, einen Paß zu bekommen, die Mutter werde sich zu sehr um ihn sorgen, auch könne er mit ihnen nur im Flüsterton sprechen. Man möge es also»lieber bleiben lassen«.

24 Stunden später ist Franz Kafka tot, am 5. Juni wird sein Leichnam im verlöteten Sarg nach Prag überführt.

 

Schieles Staffelei

Man sah sich um und fand sieh innerhalb eines kalkweißen Mauergevierts von schwarzen Dingen umgeben: schwarzen Kästen, Tischen und Stühlen, schwarzen Vorhängen, schwarzen Seidendecken, schwarzen Polstern, schwarz gebundenen Büchern und schwarzen Vasen auf schwarzen Bordbrettern, und inmitten dieses Chores vieltönig abgestimmter Schwärzen stand der junge Künstler vor einer schwarzen Staffelei.«

Alles in Schwarz.

»Rigoros gestylt«- würde der Kunstkritiker Arthur Roessler noch hinzufügen, beschriebe er den Arbeitsraum seines Schützlings Egon Schiele mit dem Wortschatz von heute. Da gibt's keinerlei halbe Sachen: Der Schreibtisch ist, statt an die Wand gerückt, in zehn Zentimeter Abstand von ihr plaziert. Damit jeder sieht: Auch die Rückseite ist»ausgeführt«. Und natürlich auch sie in Schwarz.

Es ist Egon Schieies letztes Lebensjahr: Am 31. Oktober 1918 stirbt der Achtundzwanzigjährige - drei Tage nach Gattin Edith - an der Spanischen Grippe. Seine Werkstatt in der Hietzinger Hauptstraße 101, die er extra mit elektrischem Licht hat ausstatten lassen, damit er auch nach Einbruch der Dunkelheit pinseln kann, soll in eine Malschule umgewandelt werden; für die eigene Arbeit - vor allem an den großformatigen Bildern - hat er soeben ein sieben Meter hohes Zweit-Atelier bezogen: Wattmanngasse 6. Die Firma Landsberger in der Operngasse,»Niederlage sämtlicher Malrequisiten«, versorgt ihn mit dem nötigen Handwerkszeug. Jetzt, gegen Ende des Krieges, ist es nicht immer vom Besten: Die Farben bröckeln ab, der Nachlaß des Frühvollendeten wird sorgfältiger Pflege bedürfen.

Er landet zu gleichen Teilen bei der Mutter des Künstlers und den beiden Schwestern. Melanie, die Ältere, fühlt sich wie er zur Kunst hingezogen, wird jedoch vom strengen Bruder zurückgepfiffen:»Melanie, male nie!«Aber da ist auch noch Gerti, die vier Jahre jüngere. Sie ist Schieies Liebling: oft an seiner Seite, oft sein Modell, im Kreis um Josef Hoffmann auch Mannequin der Wiener Werkstätte. Daß er sie an seinen Studienkollegen Anton Peschka»verlieren«soll, beobachtet er mit unverhohlener Eifersucht: Die beiden heiraten.

Anton Peschka, fünf Jahre älter als er, wird bei der Pflege der Schiele-Hinterlassenschaft eine wichtige Rolle zukommen. Schon die längste Zeit arbeiten die beiden eng zusammen: Zunächst im Dienste des Bühnenmalers Brioschi, später erfolglos um eine Stelle als Zeichenlehrer bemüht, teilt er sich mit Schwager Egon bisweilen das Atelier, wird von diesem nach Kräften gefördert, darf ihm da und dort assistieren. Wer also wäre berufener als er, nach Schieies Tod dessen unfertig gebliebene Spätwerke zu vollenden? Das berühmte Kinderbild, bei dem die Strümpfe und die Schuhe fehlen, ist nur eines von vielen.

Als Anton Peschka für sich und die Seinen - er wird Vater von vier Kindern - 1922 in der Maygasse 37 ein Eigenheim errichtet, ist endlich auch ausreichend Platz für das Schiele-Mobiliar: die von eigener Hand schwarzgestrichene Sitzgruppe, der auf etlichen Männerporträts verewigte Ateliersessel, die von Peschka weiterbenützten Staffeleien. Und natürlich die Vitrine mit den geliebten Sammelobjekten: bemaltes Kinderspielzeug und Tiroler»Herrgöttle«, russische Lackdosen und siamesische Bronzen, barocke Zinnkannen und afrikanischer Perlenschmuck und all der andere kunterbunte Krimskrams.

Der schöne Besitz auf dem Rosenhügel wird so zum familieneigenen Schiele-Schrein, und das bleibt er auch, als viele Jahrzehnte später Sohn Anton junior das Erbe antritt. Maler auch er, doch im Brotberuf Beamter der Wiener Handelskammer, achtet der 1997 zweiundachtzigjährig Verstorbene mit Argusaugen darauf, daß nichts von all den Kostbarkeiten in die falschen Hände gerät. Als Schiele 1918 stirbt, ist Neffe»Tonerle«vier: alt genug, sich sein Leben lang lebhaft an die von Krücken herabbaumelnden japanischen Schattenfiguren zu erinnern, die ihn beim Erklimmen des Stiegenaufgangs zum Atelier jedesmal ängstigen, an den Spiritusgeruch der dampfbetriebenen Spielzeuglokomotive oder an die große Schokoladefigur, die ihm der Onkel eines Tages zusteckt. Er bewahrt sie, sein bevorzugtes Kindermodell, ehrfürchtig auf, bis sie wurmstichig und ungenießbar ist.

Zum 100. Geburtstag Egon Schieles im Frühsommer 1990 greift Peschka junior zur Feder und schreibt seine Erinnerungen an den mittlerweile weltberühmten Onkel nieder. Wer ihre mündliche Wiedergabe beim damaligen Festakt im Bezirksmuseum versäumt hat, kann sie in einer wohlgelungenen Materialsammlung nachlesen, die Kustos Harry Glöckner als Broschüre herausgebracht hat. Schon Jahre davor ist es den Hietzingern gelungen, aus Spenden der Erben eine beachtliche Schiele-Gedenkstätte zu errichten. Ihr Prunkstück: eine der Staffeleien aus dem Besitz des Meisters (XIII., Am Platz 2, samstags 14.30 bis 17, sonntags 10 bis 12 Uhr).

 



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