War es der jammervolle Ausdruck im Gesicht des Jungen? 


Мы поможем в написании ваших работ!



ЗНАЕТЕ ЛИ ВЫ?

War es der jammervolle Ausdruck im Gesicht des Jungen?



Die würdevolle Haltung von Herrn Link?

Die schrille Stimme von Frau Metzing?

Was immer es auch war, Mamer ließ die Kartoffel in die Kiste fallen und schob Rudi aus derr Laden. Draußen verpasste er ihm einen Tritt mit seinem rechten Stiefel und sagte:»Lass dich hier nicht mehr blicken.«

Von draußen schaute Rudi zu, wie Mamer sich hinter die Theke stellte und seine nächste Kundin bediente, mit Gemüse und Sarkasmus gleichermaßen:»Ich bin neugierig, welche Kartoffel Sie haben wollen«, sagte er und beobachtete gleichzeitig mit einem Auge den Jungen vor dem Laden.

Für Rudi war es eine weitere Niederlage. Die zweite Dummheit war ähnlich gefährlich, allerdings aus einem anderen Grund.

Rudi ging aus dieser Situation mit einem blauen Auge, angeknacksten Rippen und einem neuen Haarschnitt hervor.

Tommi Müller hatte bei einem Hitlerjugend-Treffen mal wieder Probleme, und Franz Deutscher wartete nur darauf, dass Rudi sich einmischte. Er musste nicht lange warten.

Rudi und Tommi wurden zu einem weiteren außerplanmäßigen Drill verdonnert, während die anderen nach drinnen gingen und in militärischer Taktik unterwiesen wurden. Während sie durch die Kälte rannten, sahen sie die warmen Köpfe und Schultern durch das Fenster. Selbst als sie sich wieder zu dem Rest der Gruppe gesellten, war die Strafmaßnahme noch nicht vorbei. Rudi ließ sich in eine Ecke fallen und schnippte Schlamm von seinem Ärmel gegen die Fensterscheibe. Franz feuerte die beliebteste Hitlerjugend-Frage auf ihn ab.

»Wann wurde unser Führer Adolf Hitler geboren?«

Rudi schaute hoch.»Wie bitte?«

Die Frage wurde wiederholt, und der sehr, sehr dumme Rudi Steiner, der genau wusste, dass es der 20. April 1889 war, antwortete mit dem Geburtsdatum von Jesus Christus. Er warf sogar den Ort, Bethlehem, als zusätzliche Information ein.

Franz rieb sich die Hände.

Ein sehr schlechtes Zeichen.

Er kam zu Rudi und befahl ihn nach draußen, wo er weitere Runden laufen sollte.

Rudi absolvierte sie alleine, und nach jeder Runde fragte ihn Franz wieder nach dem Geburtstag des Führers.

Es dauerte sieben Runden, bis Rudi die richtige Antwort gab.

Doch so richtig ging der Ärger erst einige Tage nach diesem Treffen los.

Rudi entdeckte Deutscher in der Münchener Straße, wie er mit ein paar Freunden den Bürgersteig entlangschlenderte, und verspürte das unbändige Verlangen, einen Stein nach ihm zu werfen. Ihr könnt ruhig fragen, was zum Teufel er sich dabei dachte. Die Antwort lautet: Wahrscheinlich gar nichts. Er würde vermutlich sagen, dass er sich seine von Gott gegebene Freiheit herausnahm, eine Dummheit zu begehen. Entweder das, oder der Anblick von Franz Deutscher verleitete ihn zu dem Wunsch, Selbstmord zu begehen.

Der Stein traf sein Ziel mitten auf dem Rückgrat, allerdings nicht so fest, wie Rudi gehofft hatte. Franz Deutscher wirbelte herum und schaute glücklich drein, als er ihn da stehen sah, mit Liesel, Tommi und Tommis kleiner Schwester Kristina.

»Lass uns weglaufen«, drängte Liesel, aber Rudi rührte sich nicht.

»Wir sind nicht bei der Hitlerjugend«, erklärte er ihr. Die älteren Jungen waren schon näher gekommen. Liesel blieb bei ihrem Freund, genauso wie der zuckende Tommi und die zarte Kristina.

»Herr Steiner«, ließ sich Franz vernehmen, ehe er Rudi packte und aufs Pflaster warf.

Die Tatsache, dass Rudi aufstand, erboste Deutscher noch mehr. Er schickte ihn ein weiteres Mal zu Boden, gefolgt von einem Tritt in die Rippen.

Wieder stand Rudi auf, und die Gruppe der älteren Jungen fing an, ihren Freund auszulachen. Keine rosigen Aussichten für Rudi.»Lass es ihn doch mal richtig spüren«, sagte der Größte von ihnen zu Deutscher,»oder bringst du das etwa nicht fertig?«Seine Augen waren so blau und kalt wie der Himmel, und seine Worte waren genau die Ermutigung, die Franz Deutscher brauchte. Er wollte, dass Rudi zu Boden ging und auch dort blieb.

Eine größere Gruppe bildete sich um sie, als Rudi einen Schlag auf Franz Deutschers Bauch richtete und ihn vollkommen verfehlte. Gleichzeitig spürte er ein Brennen, als ihn eine Faust in seiner linken Augenhöhle traf. Damit einher ging ein Funkenregen, und er lag unten, bevor er sich dessen überhaupt bewusst war. Wieder erhielt er einen Schlag, auf genau dieselbe Stelle, und er fühlte förmlich, wie die Schwellung gelb, blau und schwarz wurde, alles auf einmal. Drei Lagen aus unbändigem Schmerz.

Die wachsende Menge wartete gierig darauf, ob Rudi noch einmal aufstehen würde. Er tat es nicht. Diesmal blieb er auf dem kalten, nassen Boden liegen, fühlte die klamme Kälte durch seine Kleidung dringen und sich auf seinem Körper ausbreiten.

Die Funken sprühten immer noch vor seinen Augen, und er merkte erst, als es schon zu spät war, dass Franz jetzt mit einem nagelneuen Taschenmesser über ihm stand. Er beugte sich über ihn und ließ das Messer aufblitzen.

»Nein!«, schrie Liesel, aber der große Kerl hielt sie fest. In ihren Ohren klangen seine Worte tief und alt.

»Keine Sorge«, versicherte er ihr.»Er tut's nicht. Er hat nicht den Mut dazu.«Er irrte sich.

Franz ließ sich auf die Knie nieder, beugte sich näher zu Rudi und fragte:»Wann wurde unser Führer geboren?«Jedes Wort wurde mit Sorgfalt erschaffen und in sein Ohr geschoben.»Komm schon, Rudi, wann wurde er geboren? Du kannst es mir sagen, alles in Ordnung, keine Angst.«

Und Rudi?

Was erwiderte er?

Antwortete er besonnen, oder ließ er zu, dass ihn seine Dummheit noch tiefer in den Schlamassel zog?

Er blickte Franz Deutscher in die blassblauen Augen und flüsterte.

»Ostermontag.«

Innerhalb weniger Sekunden hatte das Messer seine Schuldigkeit in Rudis Haaren getan. Es war der zweite kostenlose Haarschnitt, den Liesel erlebte. Die Haare des Juden waren mit einer rostigen Schere geschnitten worden. Ihrem besten Freund wurden sie mit einem schimmernden Messer abgesäbelt. Liesel fiel in diesem Augenblick niemand ein, der je für einen Haarschnitt bezahlt hätte.

Was Rudi betraf, so hatte er in diesem Jahr Schlamm geschluckt, in Dung gebadet, war von einem Jung-Kriminellen fast erwürgt worden und erlebte nun das, was man als i-Tüpfelchen bezeichnen könnte - eine öffentliche Demütigung auf der Münchener Straße.

Seine Stirnfransen ließen sich größtenteils widerspruchslos abtrennen, aber bei jedem Schnitt waren auch ein paar Haare dabei, die um ihr Leben kämpften und als Dank dafür ausgerissen wurden. Bei jedem Ruck zuckte Rudi zusammen. Sein blaues Auge pochte, und seine Rippen brannten vor Schmerz.

»Zwanzigster April achtzehnhundertneunundachtzig!«, belehrte ihn Deutscher. Dann führte er sein Gefolge davon. Auch das Publikum verschwand, und zurück blieben nur Liesel, Tommi und Kristina. Und Rudi.

Er lag still auf dem Boden, aus dem Feuchtigkeit aufstieg.

Was uns zur dritten Dummheit führt - sein Fernbleiben von der Hitlerjugend.

Er hörte nicht sofort auf hinzugehen. Er wollte Deutscher beweisen, dass er keine Angst vor ihm hatte. Aber nach ein paar Wochen beendete Rudi seine Teilnahme gänzlich.

Stolz gewandet in seine Uniform ging er hinaus auf die Himmelstraße, ließ sie hinter sich und lief immer weiter, stets gefolgt von seinem Getreuen, Tommi.

Statt dem HJ-Treffen beizuwohnen, spazierten sie aus der Stadt hinaus und die Amper entlang, ließen Kiesel übers Wasser hüpfen, wuchteten große Steine platschend hinein und stellten noch allerlei anderen Unfug an. Er sorgte dafür, dass seine Uniform schmutzig genug wurde, um seine Mutter zu täuschen - bis der erste Brief ins Haus flatterte. An diesem Tag kam es zu der gefürchteten Aussprache in der Küche.

Zunächst drohten ihm seine Eltern. Er weigerte sich.



Поделиться:


Последнее изменение этой страницы: 2016-08-10; просмотров: 141; Нарушение авторского права страницы; Мы поможем в написании вашей работы!

infopedia.su Все материалы представленные на сайте исключительно с целью ознакомления читателями и не преследуют коммерческих целей или нарушение авторских прав. Обратная связь - 13.58.247.31 (0.01 с.)